Deniz Yücel - Laudator 2021

Rede des Journalisten Deniz Yücel für die Sonderpreisträger des Teams vom ZDF Magazin Royale mit Jan Böhmermann anlässlich der Verleihung des Hanns-Joachim-Friedrichs-Preises 2021 am 4. November 2021 beim Westdeutschen Rundfunk in Köln.

Sehr geehrter Freundeskreis, sehr geehrte Jury,
liebes ZDF Magazin Royale, lieber Jan,
meine Damen und Herren,

es ist mir wirklich, wirklich eine große Ehre und eine große Freude heute Abend diese Laudatio halten zu dürfen. Aber gestatten Sie mir bitte noch eine Vorbemerkung: Ich finde es ein bisschen problematisch, dass hier Virologen eine Bühne geboten wird, die ja auch umstritten sind und die sich auch schon mal geirrt haben.

Es hat einen Moment gedauert, oder?

Nein, das war natürlich ein großer Quatsch und ich habe großen Respekt für Christian Drosten und seiner Arbeit. Und ich habe überhaupt keine Ahnung, um seine Arbeit oder die anderer Virologinnen und Virologen beurteilen zu können. Und dieser kleine Scherz auf seine Kosten war in Wirklichkeit natürliche einer auf Kosten von Jan Böhmermann, den heute Geehrten. Weil: Alle können sich irren, auch der große Jan Böhmermann kann sich irren, vor allem, wenn er nicht sein Team im Rücken hat.

Natürlich irrt jeder mal, der eine mehr, der andere weniger, in jedem Beruf und auch sonst im Leben. Aber - und das sage ich mit Blick auf den Bereich des Journalismus, den man so als Kommentarwesen oder politisches Feuilleton zusammenfassen könnte: Diejenigen, die am seltensten irren, sind meist die, die am wenigsten riskieren. Wer risikofrei kommentiert, schafft es vielleicht in die „Presseschau“. Aber es gelingt einem nur selten etwas, das wilden Widerspruch oder innigste Zustimmung hervorruft, das eine Debatte anstößt oder ihr eine ganz neue Richtung gibt oder schlicht: das im Gedächtnis bleibt.

Nun ist das, was wir Journalistinnen und Journalisten produzieren, meist weder Kunst noch Philosophie. Es sind Gebrauchsgüter mit begrenzter Haltbarkeit, entstanden aus dem täglichen Handgemenge. Schon im Wort steckt ja das Französische „Le jour“, „Der Tag“. Dennoch gelingen manchen Kolleginnen und Kollegen manchmal Stücke, die über den Augenblick hinaus Bestand haben. Und oft sind es genau die Stücke, bei denen jemand etwas riskiert hat – thematisch, gedanklich, in der Form.

Doch wer etwas riskiert, der kann sich nicht nur irren, der kann auch mal so richtig danebengreifen. Jan Böhmermann riskiert etwas – nicht nur den einen oder anderen Gerichtsprozess, das allein ist noch keine Tugend. Vielmehr versuchen er und sein Team seit dem Wechsel von ZDF Neo ins Hauptprogramm des ZDF, etwas, das im deutschen Fernsehen völlig neu ist.

Sie begnügen sich nicht mit dem, wie es in der klassischen Satire oder auch in der klassischen der Late-Night-Show, das politische Geschehen witzig zu kommentieren und aufzubereiten. Es gibt diese monothematischen Blöcke, die wir eben auch gesehen haben, die den Kern jeder Sendung bilden. Und das ist ganz einfach das Ergebnis harter journalistischer Recherche, klassischer journalistischer Recherche, oft zu relevanten, aber nicht tagesaktuellen und schon gar nicht so super-satiretauglichen Themen, wie Parteistiftungen, Frontex oder Sand. Und allein diese Sandfolge, vielleicht hat der ein oder andere von Ihnen sie gesehen, allein dafür hätte man euch einen Preis geben müssen – große Sache -, weil das hinzukriegen, das zu recherchieren, das Thema zu setzen und das auch noch unterhaltsam zu gestalten, das erfordert nicht nur einmal Handwerk, das erfordert gleich zweimal Handwerk und zwar ziemlich große Handwerkskunst.

Dass Journalisten in der Regel keine Kunst produzieren, heißt ja nicht, dass ihnen sowas nie gelänge. Einige der Großen unseres Faches waren oder sind, auf teils sehr unterschiedliche Weise, Grenzgänger zwischen Journalismus und Literatur: George Orwell und Hunter S. Thompson, Alfred Kerr und Egon Erwin Kisch, Peggy Parnass und Günther Wallraff und viele andere.

Auch Jan Böhmermann und das ZDF Magazin Royale sind Grenzgänger zwischen Journalismus und einer Kunstform, nämlich der Satire. Irgendwo zwischen der Harald-Schmidt-Show und dem Kennzeichen D oder auch dem alten ZDF-Magazin - und ich weiß wirklich nicht und habe auch nie gefragt, ob diese Namensgleichheit gewollt ist oder Zufall, aber mir gefällt sie ganz hervorragend.

Late Night und Nachrichten, Recherche und Satire, Information, Unterhaltung und Schabernack, dargeboten in einer zeitgemäßen, flotten – und total internetaffinen – Form. Eigentlich hätte da schon jemand vorher draufkommen können. Kam aber halt keiner drauf.

Und wenn das ZDF-Magazin Royale nicht nur eine Sendung über die Klatschpresse macht, sondern auch ein Parodieheft namens „Freizeit Magazin Royale“ an den Kiosk bringt, dann ist das nicht nur aufklärerisch und lustig, sondern auch ein Grenzgängertum auf einer ganz anderen Ebene. Jan hat das bei unserer Diskussion eben als „Intervention“ bezeichnet und ich glaube, das trifft es ganz gut.

Und ich denke, dass wir erst am Anfang einer großen Geschichten zwischen Journalismus, Kunst und Quatsch stehen und das ZDF Magazin Royale uns noch mit Grenzerkundungen aller Art überraschen wird – und sicher dabei auch das ein oder andere Mal auf seine Grenzen stoßen wird.

Doch ohne die Recherche-Arbeit des Teams wäre dies nicht möglich, weshalb der Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis ausdrücklich und in dieser Reihenfolge an das Team des ZDF Magazins Royale mit Jan Böhmermann geht.

Es sind zu viele, um sie an dieser Stelle alle aufzuzählen. Aber wenigstens die Ressortleiterinnen und Ressortleiter möchte ich nennen, stellvertretend für ihre jeweiligen Bereiche:

Das sind Julia Thiel als Executive Producerin, Constantin Timm und das Creative Department – habt ihr euch diese Bezeichnungen selber ausgewählt? – Hanna Herbst und Nora Nagel für die Redaktion, Markus Hennig für die Autorinnen und Autoren, Susi Engelmann und Melanie Ott für die Produktion, Stefan Erpelding für die Online-Redaktion und natürlich Lorenz Rhode und das Rundfunk-Tanzorchester Ehrenfeld.

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Wäre ich nicht so sehr für Meinungsfreiheit, ich wäre sehr dafür, die Verwendung bestimmter Zitate für – sagen wir mal hessische 120 Jahre – zu verbieten. Etwa: Heinrich Heines „Denk ich an Deutschland in der Nacht“, Kurt Tucholskys „Was darf Satire, Satire darf“ und Hajo Friedrichs Satz – Sie wissen schon, ich lasse es jetzt weg.

Dabei ist nichts an falsch an diesen Zitaten. Das Problem ist nur, dass sie fast immer von Leuten als Lehrsätze oder gar Parolen gebracht werden, die keine vorhergehende oder nachfolgende Zeile in den jeweiligen Texten gelesen haben.

Vor drei Jahren hat die geschätzte Kollegin Anja Reschke in ihrer Dankesrede sich mit Friedrichs berühmten Satz auseinandergesetzt. Das möchte ich nicht wiederholen, und auch nicht auf das Spiegel-Interview verweisen, das stets herangezogen wird, wenn jemand erläutert, in welchem Kontext Hajo Friedrichs diesen einen Satz, den ich jetzt nicht zitieren werde, gesagt hat.

Aber ich habe mir für diesen Anlass noch einmal seine mit Harald Wieser verfasste und leider vergriffene Autobiographie „Journalistenleben“ zur Hand genommen. Klammer auf: Droemer Knaur – kann ja sein, dass Sie zuhören – Neuauflage wäre super! Danke schön. Klammer zu.

Dort kann man nachlesen, wie wichtig Friedrichs, ganz in der amerikanischen Zeitungstradition, die Unterscheidung zwischen Meldung und Meinung war – und wie sehr er sich über Kollegen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ärgerte, die bereit waren, für ihre politischen Überzeugungen ihr journalistisches Handwerk zu verraten. Das mag heute seltsam sein, aber bei Friedrichs ging es ausschließlich um Kollegen mit Nähe zum Konrad-Adenauer-Haus; so ändern sich die Zeiten.

Auch in den Tagesthemen hatte Hajo Friedrich nicht grundsätzlich etwas gegen Kommentare, die übrigens bis heute das einzige Element der Sendung sind, über die nicht die Redaktion entscheidet, sondern über die auf einer Schaltkonferenz der ARD-Chefredakteure entschieden wird. Und über diese Tagesthemen-Kommentare schreibt Hanns Joachim Friedrichs:

„Eine klare, eindeutige Meinung zu einer bestimmten Sache kann ich oft nicht erkennen. Da wird einerseits zu Bedenken gegeben, andererseits aber darauf hingewiesen, und am Ende bleibt irgendetwas abzuwarten. Was meint denn eigentlich der Herr Kommentator? Bei einigen Kollegen merkt jeder Zuschauer sofort, was Sache ist. (…) Andere könnten in jedem Volontärskurs noch eine Menge lernen“.

Vielleicht gibt es im Saal, sicher aber draußen im Internet Leute, die das ZDF Magazin Royale und Jan Böhmermann als ganz und gar unpassend für diesen Preis betrachten und glauben zu wissen, was Hajo Friedrichs im Grab machen würde, wenn er denn davon erführe.

Ich habe mich das natürlich auch gefragt, was hätte jetzt Hajo Friedrichs zu diesem Preis gesagt und was hätte er natürlich zu eurer Sendung gesagt: Ich mir bin mir ehrlich gesagt nicht so ganz sicher, aber ich kannte ihn ja auch persönlich nicht, wie er den Sound gefunden hätte, auch wie er das Gendern gefunden hätte, weiß ich nicht.

Aber ich denke, er hätte zumindest ganz sicher dem ZDF Magazin Royale nicht dieselben Kriterien auferlegt wie der Tagesschau, der heute und – darüber spricht er eigentlich immer – er hätte sich ganz gewiss gefreut über die Neugier, die journalistische Neugier – Sand! –, mit der ihr an Themen herantretet. Und er hätte sich vor allem darüber gefreut würde, dass bei diesem Herrn Kommentator immer jeder weiß, was Sache ist und er als Satiriker nicht immer das meint, was er sagt, und trotzdem glasklar ist, was er meint.

Kurz: Dieser Preis ist nicht unpassend, sondern hochverdient.

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Ich möchte enden mit einer kleinen persönlichen Geschichte, von der ich annehme, dass sie dazu geführt hat, dass ich heute Abend diese Laudatio sprechen darf.

Gestern wurde ich gefragt, ob man die Preisverleihung im Fernsehen oder im Internet verfolgen könne. Meine Antwort: „Weiß nicht, denke schon, das sind Fernsehleute; die machen nix, wenn nicht irgendwo eine Kamera läuft.“ Das war natürlich fies, und ich glaube, auf Jan Böhmermann tritt das ganz besonders nicht zu.

Denn als ich in der Türkei im Knast saß, hast du dich, lieber Jan, nicht nur öffentlich, in deiner Sendung und bei Solidaritätslesungen, für mich und meine inhaftierten Kolleginnen und Kollegen eingesetzt, sondern auch privat. Du bist auch dann von Köln nach Berlin zu Solidaritätsveranstaltungen gefahren, wenn du gerade nicht auf der Bühne warst, einfach so in der Menge, als Bürger, als Kollege, vielleicht auch als künftiger Freund. Als ich davon gehört habe, hat mich das sehr gerührt.

Aber wirklich, wirklich überrascht hast du mich aber mit etwas Anderem: Das war das letzte Mal als wir uns gesehen haben, das war genau an diesem Ort. Ich hatte eine Buchvorstellung und Jan war als Überraschungsgast da. Und ich habe auf dieser Bühne einen Witz gemacht, den ich an anderer Stelle eigentlich auch schon mal gemacht habe, nämlich in deinem Podcast. Ich habe gesagt: „Wegen deinem blöden Gedicht habe ich ein Jahr im Knast gesessen.“

Ich erzähle diesen Witz nicht noch einmal, weil ich ihn so geil finde, sondern weil ich es bemerkenswert fand, Jan, wie du noch beim zweiten oder dritten Mal, als du diesen Gag gehört hast, noch immer nachdenklich wurdest. So nachdenklich, dass ich den Eindruck hatte – alle anderen haben gelacht, Olli Schulz hat gelacht, das Publikum hat gelacht, nur Jan Böhmermann lachte nicht und wirkte so, als würdest du dir selber diese Frage stellen.

Darum möchte ich dir vor allem versichern: Nee, das war nicht so, das hatte andere Gründe, nicht nur, aber auch wegen meiner Texte, die ich in der Welt geschrieben habe. Aber selbst wenn entgegen aller Wahrscheinlichkeit meine Verhaftung irgendwo auch ein Racheakt war für die „Böhmermann-Affäre“, – weißt du was, es wäre völlig egal. Es wäre wirklich egal!

Denn die Free-Deniz-Solidarität, bei der ich in einer ganz merkwürdigen Situation war, nämlich einerseits mittendrin und andererseits außen vor, ich konnte ja nicht mitdemonstrieren und mit Corso fahren und mitlesen. Diese ganze Solidarität war von einer Idee getragen, glaube ich: Die Freiheit des Wortes ist unteilbar. Und im Ernstfall müssen wir Journalistinnen und Journalisten sie schon um unserer Glaubwürdigkeit willen verteidigen, unabhängig von dem, was uns sonst politisch und ästhetisch trennt oder verbindet; ganz gleich, ob wir uns kennen oder nicht.

Bei den täglichen Diskussionen mit- und in Sticheleien gegeneinander – nicht nur, aber gerade auch auf Twitter –, an denen du, ich und so manch andere, die damals bei der Free-Deniz-Sache eine wichtige Rolle gespielt haben und die sich nun oft auf verschiedenen Seiten wiederfinden, frage ich mich manchmal, ob über diesen ständigen Streit über ditt und datt, über mal wichtigere und vielleicht mal nicht ganz so wichtige Themen, diese Erkenntnis in Vergessenheit geraten könnte.

Du, lieber Jan, hast mir mal gesagt, dass du das nicht glaubst und eigentlich davon überzeugt bist, dass wenn es wieder nötig wäre, dann wäre diese Solidarität wieder da. Und, gut: An deine Zuversicht möchte ich gerne glauben.

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Hanns Joachim Friedrichs bin ich leider nie begegnet. Aber nach allem, was ich von und über ihn gelesen habe, war er, noch vor allem anderen, vor dem Journalisten und dem Handwerker, vor allem war er: integer. Und ich bin davon überzeugt, Jan, dass du auch in dieser Hinsicht ein würdiger Träger des nach ihm benannten Preises bist.

Und übrigens: Sendungsbewusstsein ist schon ok, wenn man was zu senden hat. Das hast du, das habt ihr. Und deswegen: Meinen Glückwunsch!