Ina Ruck und Elmar Theveßen

Ina Ruck, Elmar Theveßen
Ina Ruck, Elmar Theveßen

2023, in seinem 27. Jahr, geht der Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis für Fernsehjournalismus zu gleichen Teilen an die WDR-Korrespondentin Ina Ruck (derzeit Leiterin des ARD-Studios in Moskau). Sie gehört seit Jahrzehnten zu den besten, mit beeindruckendem Hintergrundwissen und brillanter Sprachkenntnis ausgestatteten Journalistinnen und Journalisten, die von dort berichten;

und

an den ZDF-Journalisten Elmar Theveßen (derzeit Leiter des ZDF-Studios Washington). Er verbindet nach einer bemerkenswerten Karriere, an der Nachrichtenfront wie auf Entscheidungsebenen der ZDF-Zentrale, souveräne Sachkenntnis mit scharfem Blick für die großen Zusammenhänge.

Ein Sonderpreis geht in diesem Jahr an die Chefredakteurinnen von drei unabhängigen Online-Medien in der Ukraine

- Sevgil Musajeva (Ukraina Pravda),
- Nataliya Gumenyuk (Digitalsender Hromadske),
- Olga Rudenko (Kyiv Independent),

die mit mitten in einem Krieg mit professioneller, den Fakten verpflichteten Arbeit einen Weg durch die „Nebel des Krieges“ bahnen und auch für ausländische Berichterstatter eine unabhängige, zuverlässige Informationsquelle sind.

 

Preisträgerin Ina Ruck

Ein besonderer Schwerpunkt ihrer Arbeit waren schon immer Russland und die Länder der früheren Sowjetunion. Nach dem Studium der Slawistik, Politikwissenschaft und Publizistik und einem anschließenden Volontariat beim Norddeutschen Rundfunk, startete Ina Ruck ihre beeindruckende Karriere als ARD-Korrespondentin und hat vor allem aus Moskau und Russland über viele historische Umbrüche berichtet. Sie gestaltete für den WDR und damit für die ARD über die Aktualität hinaus auch herausragende, mit Auszeichnungen bedachte Reportagen und Dokumentationen.

In der Nachfolge so bedeutender Journalisten wie Gerd Ruge, Fritz Pleitgen und Klaus Bednarz leitet sie nun erneut und in äußerst schwieriger Zeit das ARD-Studio Moskau inmitten des von Putin und der russischen Führung losgebrochenen Angriffskrieges gegen die Ukraine. Da sie seit den 1990er Jahren immer wieder über Jahre aus Russland und den Staaten der ehemaligen Sowjetunion berichtet hat, kennt sie nicht nur diese Länder, sondern auch viele der noch heute handelnden Personen aus persönlichen Begegnungen und weiß sie zuverlässig einzuschätzen. In Zeiten wie heute, in der Recherchereisen und persönliche Kontakte kaum noch möglich sind, ist das ganz besonders in Russland ein nicht hoch genug einzuschätzendes Gut, das sie direkt und indirekt an die Zuschauer: innen weitergeben kann.

Es gehört zu der Besonderheit ihrer journalistischen Erfahrung, dass sie jahrelang auch aus Washington und den USA berichten konnte. Wie wenige andere Journalist:innen ihrer Generation kann sie dadurch gerade in Zeiten des Krieges und der Krisen aus eigener Kompetenz und persönlicher Erfahrung über die höchst unterschiedlichen Perspektiven und Blickwinkel der west-östlichen „Pole“ berichten. Ihre Live-Gespräche in aktuellen Sendungen sind auch deshalb so ertragreich, weil die Zuschauer:innen Ina Ruck als ARD-Korrespondentin lange kennen, ihr Urteil schätzen und spüren: Da berichtet jemand mit jahrzehntelanger Erfahrung über äußerst komplexe Zusammenhänge.

Ina Ruck gelingt es stets, in einer persönlichen, journalistischen Haltung - im Sinne von Hanns Joachim Friedrichs – analytische Distanz mit emphatischem Blick auf die betroffenen Menschen zu verbinden. Sie liefert in schwierigen Zeiten ein beständiges Beispiel dafür, wie Glaubwürdigkeit im Journalismus immer wieder neu und kompetent untermauert werden kann und muss.

 

Preisträger Elmar Theveßen

Im Februar 2019 beendete (oder unterbrach?) Elmar Theveßen, Chef der „Hauptredaktion Aktuelles“ und stellvertretender Chefredakteur des ZDF, seinen Aufstieg durch die Hierarchie des Senders und kehrte als Studioleiter dorthin zurück, wo er sich als junger Korrespondent schon 1995 bis 2001 einen Namen gemacht hatte: Washington, DC.

Damals folgten zunächst Jahre in Berlin als Reporter des neuen Investigativ-Magazins „Frontal 21“.

Eine seiner ersten Recherchen war Fortsetzung seiner USA-Berichterstattung. Er ging Spuren nach, die von den Bomben-Anschlägen der Al Quaida auf die US-Botschaften in Kenia und Tansania (1998) nach Deutschland wiesen. Theveßen hatte seine Kontakte zur Welt der Sicherheitsbehörden und Geheimdienste schon in Bonn und dann in Washington gepflegt. Er kannte die Strukturen und die entscheidenden Namen einer Organisation, von der die meisten noch nie gehört hatten.

Als die Todespiloten, die vor ihrer Flugausbildung in den USA in Wartestellung in Hamburg gewesen waren, am 11. September 2001 die Türme des World Trade Centers zum Einsturz brachten, hatte Theveßen – und damit das ZDF - einen enormen Vorsprung. Es fiel auf, dass da einer redete, der die Netzwerke des Terrors in ihren Verästelungen und Bruchlinien „intus“ hatte. Nicht nur die islamistisch geprägten, auch die der linken und vor allem rechten Extreme. Sein Ruf als einer der führenden Terrorismus-Experten im deutschen Journalismus hat eine solide Grundlage und ist gleichzeitig eine viel zu enge Schublade.

Theveßen ist ein umfassend interessierter und informierter Politik-Berichterstatter und Kommentator. Das bewies er spätestens ab 2003 in der ZDF-Zentrale in Mainz, zunächst als CvD „Aktuelles“ und ab 2007 als Nachfolger von Klaus-Peter Siegloch als Nachrichtenchef des Senders.

Wer mit Theveßen arbeitet, beschreibt einen stets ruhigen, höchst effizient arbeitenden Profi, der es schaffte, neben der Leitung der größten Hauptredaktion des Senders weiter hintergründige Dokus zu drehen, die Entwicklung eines digitalen News-Studios zu lenken und eine ganze Reihe von Sachbuch-Bestsellern zu schreiben, die gut zu lesen sind und trotzdem strengsten Maßstäben genügen, was Quellen, Belege und Korrektheit angeht.

In diesem Jahr einer Zeitenwende legte er – wieder perfekt getimed – den Band „Kampf der Supermächte“ vor, der in Nahaufnahmen von Asien, den Amerikas, Afrikas und Europas die Herausforderungen einer Weltordnung darlegt und analysiert, die gerade erst entsteht.

Auch da folgt er dem Motto, das er seiner eigenen Arbeit und seinen Redaktionen hinter den Spiegel steckt: Nice to be first, but first be right.

 

Aus der Jury

In den letzten Jahren hat die Jury ihre Entscheidungen als Statement für Qualitätsjournalismus im Kontext aktueller medienpolitischer Debatten verstanden und jeweils besondere Akzente gesetzt:

2019: „Faktentreue“ (Mai Thi Nguyen Kim, WDR / Harald Lesch, ZDF).
2020: „Unabhängigkeit“ (Emily Maitlis, BBC / Ulf Röller ZDF)
2021: „Aktualität auf den Grund gehen“ (Katrin Eigendorf, ZDF / Carl Gierstorfer, RBB)
2022: „Glaubwürdige Berichterstattung in Krieg und Krisen verlangt Präsenz am Ort des Geschehens“
(Christoph Reuter, SPIEGEL TV / Maria Makejewa, Ost-West TV).

Seit Februar 2023 ist klar geworden, dass Russlands Krieg gegen die ukrainische Nation nur ein Aspekt globaler Neuordnung ist. Die Vereinigten Staaten haben den Höhepunkt ihrer Macht überschritten und ihre Führungsrolle in der Gemeinschaft demokratisch-freiheitlicher Gesellschaft selbst in Frage gestellt.

Unterdessen hat sich China auf allen Kontinenten Einfluss gesichert und Pflöcke eingeschlagen. Die Aufteilung der Welt unter zwei Mächten wird abgelöst von dynamischen, kaum kalkulierbaren Interaktionen, immer weniger gebändigt von überstaatlichen Institutionen und allgemein anerkannten Regeln.

Für eine vertrauenswürdige Berichterstattung kommt es jetzt mehr denn je darauf an, dass entscheidende Stellen mit journalistischen Persönlichkeiten besetzt sind, die aus ihrer Lebenserfahrung und Profession in der Lage sind, Aktualität in ihren Zusammenhängen zu verstehen und zu erklären.
Dafür werden dieses Jahr mit Ina Ruck und Elmar Theveßen herausragende Beispiele ausgezeichnet.

Dass die Wahl auf Korrespondenten/Studioleiter öffentlich-rechtlicher Häuser fiel, soll erneut als Votum für dauernde Präsenz an solchen Brennpunkten verstanden werden – gegen kaufmännisches Denken, nach dem sich angesichts globaler Informations-Netzwerke Entwicklungen in Moskau, Washington, Peking, Johannesburg oder Brasilia doch auch passabel von einem Laptop in Deutschland aus abbilden lassen - mit Material von Agenturen und aus „Sozialen Medien“. Zuschauer/Gebührenzahler dürfen mehr erwarten. Authentizität und Glaubwürdigkeit erfordern Präsenz am Ort des Geschehens, in der Mitte der betroffenen Menschen.

Sonderpreis an drei ukrainische Journalistinnen

Porträts: Sevgil Musaieva, Natalyia Gumenyuk, Olga Rudenko
Sevgil Musaieva (c) Dmytro Larin
Nataliya Gumenyuk (c) Oleksandr Popenko
Olga Rudenko (c) WDR/Ben Knabe

Der Sonderpreis ehrt in diesem Jahr drei ukrainische Journalistinnen, stellvertretend für alle, die in einem extrem schwierigen, gefährlichen Umfeld professionelle journalistische Arbeit leisten; die mit ihrer Kenntnis des Landes, seiner Menschen und seiner politischen Verflechtungen eine unverzichtbare Basis auch für die Anstrengungen ausländischer Korrespondenten liefern.

Die Preisträgerin und ihre Medien veröffentlichen nicht nur auf Ukrainisch sondern auch auf Englisch und bieten damit zugleich wichtige, und vor allem unabhängige Quellen für ein internationales Publikum.

Sevgil Musaieva ist bereits seit 2014 Chefredakteurin des Internetportals Ukraina Pravda. Als preisgekrönte Investigativjournalistin für den Bereich Wirtschaftskriminalität hat sie sich seit vielen Jahren dem Kampf gegen Korruption verschrieben, trotz der Gefahren, die damit in der Ukraine lange Zeit einhergingen. Einer ihrer Vorgänger, Georgij Gongadse, der die Ukrainskaja Prawda 2000 gegründet hatte, wurde im selben Jahr brutal ermordet.

Nataliya Gumenyuk ist Kriegsreporterin und Mitbegründerin des Digitalsenders Hromadske und Leiterin des Public Interest Journalism Lab. Auch sie gehört zur Euromaidan-Generation, die sich frühzeitig gegen Zensur und staatliche Einmischung auflehnte.

Olga Rudenko ist Chefredakteurin und Mitbegründerin des Internetportals Kyiv Independent, das 2021 gegründet wurde, um unabhängigen und unbequemen Journalismus in der Ukraine zu fördern. Kyiv Independent legt besonderen Wert auf professionelle Distanz zu Staat und Regierung auch in Kriegszeiten. Olga Rudenko war bereits 2014 im Donbas als Kriegsreporterin im Einsatz.

Die besondere Herausforderung ihrer journalistischen Arbeit liegt darin, Kriegsberichterstatterinnen im eigenen Land zu sein. Es ist ihre Heimat, die zerstört wird, ihre Wohnungen, in denen sie in Bombennächten ausharren, es sind ihre Angehörigen, Freunde und Kollegen, die an der Front kämpfen und sterben. Trotzdem unabhängig und professionell zu arbeiten und zuverlässig zu recherchieren, ist eine herausragende Leistung, die wir würdigen möchten. Sevgi Musaieva, Nataliya Gumenyuk und Olga Rudenko sind darüber hinaus Repräsentanten jener ukrainischen Generation, die seit langem für
(Medien-)Freiheit, Demokratie und Transparenz kämpft. Es ist diese Generation, die der Kreml besonders fürchtet und die er vernichten will.