Denis Scheck - Laudator 2018
"Meine Damen und Herren, frohe Festgemeinde des Hanns-Joachim-Friedrichs-Preises!
Ich bin im Lauf meiner langjährigen literaturkritischen Tätigkeit wahrlich Kummer mit Preisen gewohnt. Entscheidungen wie etwa die, Dario Fo oder Bob Dylan mit dem Literaturnobelpreis auszuzeichnen, sorgen für eine dicke Schicht Hornhaut auf der Seele des lesenden Menschen. So what, sagt man sich dann – Pearl S. Buck hat den Literaturnobelpreis schließlich auch erhalten, während die wahrhaft Großen, also etwa Marcel Proust, Franz Kafka, James Joyce, Virginia Woolf, Vladimir Nabokov, Gertrude Stein, Arno Schmidt und seit Mai dieses Jahres leider auch Philip Roth alle ohne Nobelpreis in die Grube fahren mussten. Shit happens. „Gerechtigkeit gibt’s im Himmel, hier auf Erden gibt’s das Recht“, wie William Gaddis das ausdrückte, der auch keinen Nobelpreis bekam. Aber jetzt …Jetzt schlägts 13! Das ist ja wohl der Gipfel!! Das geht ja wohl gar nicht!!! Was für ein Skandal: eine Journalistin mit dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis auszeichnen, deren Beiträge immer wieder eklatant gegen das berühmteste Zitat von Hajo Friedrichs verstoßen, jene althergebrachte Weisheit, die sämtliche Absolventinnen und Absolventen von Journalistenschulen noch aus dem Schlaf gerissen nachts um halb drei auswendig aufsagen können: „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten.“
Anja Reschke hat sich aber gemein gemacht. Und zwar mit Sachen wie unserem Grundgesetz, der Demokratie, dem Recht auf Asyl, der Menschenwürde und den Bedingungen für das Funktionieren von Öffentlichkeit und freiem Diskurs. Die meisten Menschen finden das ziemlich gute Sachen. Auch die Jury des Hanns-Joachim-Friedrichs-Preises, die Anja Reschke diesen Preis in diesem Jahr verleiht, weil Anja Reschke, ich zitiere aus der Jurybegründung, „Haltung“ zeige„ohne Arroganz, Toleranz ohne Beliebigkeit und Stehvermögen ohne Sturheit. Ihre Kommentare in den Tagesthemen sind klar, unmissverständlich und nicht belehrend. Sie mutet den Zuschauerinnen und Zuschauern Meinung zu. Und sie begründet sie auch.“
Aber wie geht das zusammen: sich nicht gemein machen, auch nicht mit einer guten Sache, und Haltung zeigen? Darüber hat unsere Preisträgerin Anja Reschke selbst nachgedacht, und zwar in ihrem aktuellen Buch „Haltung zeigen“, das – typisch für das sich mitunter selbst überholende Medium Fernsehen – drolligerweise bereits ein Kapitel über die Auszeichnung mit dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis enthält. Anja Reschke erinnert an den Kontext, in dem Hanns Joachim Friedrichs diesen berühmten Satz kurz vor seinem Tod gesagt hat, nämlich dass es ihm darum ging, im Angesicht von Katastrophennachrichten nicht in Betroffenheit zu versinken, Zitat „cool zu bleiben, ohne kalt zu sein.“ Engagement schließt das nicht aus – und das galt auch für HannsJoachimFriedrichs selbst, der, woran Anja Reschke zu Recht erinnert, sich zeit seines Lebens eingemischt und engagiert hat - zum Beispiel gegen die Überbevölkerung auf diesem Planeten unter dem Stichwort „5 Millarden sind genug“. Heute beträgt die Weltbevölkerung schon über 7 Milliarden, und dieses Thema ist leider aus dem öffentlichen Diskurs so gut wie verschwunden. Es sind diese Qualitäten eines guten Journalismus – Kontexte herzustellen, Hintergründe aufzuzeigen, Komplexität darzustellen -, die Anja Reschke in diesem Text über Hanns Joachim Friedrichs zeigt, und die ihre Arbeit als Innenpolitikchefin des NDR prägen. Dafür und für ihren Mut zur Haltung hat sie den Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis verdient. Herzlichen Glückwunsch!"