Frank Schirrmacher - Laudator 2009
Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ)
"Lieber Herr Brender, liebe Frau Friedrichs, vor allen Dingen aber auch lieber Herr Schächter, es ist eine wirkliche Freude, Sie hier zu sehen. In einem soeben auf der Buchmesse erschienenen Buch wird ein wichtiges Kriterium der Verhaltensbiologie erläutert, und zwar mit folgender Frage: Wie lange – so die Frage – dauert es, bis ein Organismus auf einen überraschenden äußeren Reiz sinnvoll reagiert? Das hängt oft gar nicht von dem Lebewesen ab, sondern von dem Medium, indem es sich bewegt. Und in den entscheidenden, den großen Live-Momenten des Mediums, in den Momenten, die wir Zuschauer ersehnen und um die alles kreist, geht es um Millisekunden. Sie entscheiden darüber, diese Millisekunden, ob wir die Vogelperspektive einnehmen können oder abstürzen. Und vrn dieser Herausforderung des Fernsehjournalismus habe ich sehr großen Respekt.
Ein Ereignis, das wir nicht vergessen werden, war der Abend des 18. September 2005. Und hier war es Nikolaus Brender, der innerhalb von Sekunden-Bruchteilen auf eine Situation reagierte, die im Nachhinein skurril und unterhaltsam wirkt, aber nur deshalb, weil Brender sie dazu machte, indem er so reagierte wie er reagierte. Als es geschah, gefror nicht wenigen Zuschauern das Blut in den Adern. Es war ein Moment von solcher Intensität, dass später ein ehemaliger und übrigens äußerst nüchterner Bundesverfassungsrichter in einem Hintergrundgespräch mit der FAZ bekannte, er habe vor dem Fernseher gesessen und gedacht, wie gut, dass wir eine Verfassung haben.
Der Schlagabtausch zwischen Bundeskanzler Gerhard Schröder und dem Chefredakteur des ZDF verdient es, in Lesebücher aufgenommen zu werden. Es ist ein Musterbeispiel von De-Legitimation im Namen der kritischen Öffentlichkeit. Der Moment, wo Brender gleichsam wie Fazit zu dem enthemmten Kanzler sagt – wörtlich: „Herr Schröder, ich nenne Sie jetzt nicht mehr Herr Bundeskanzler, sondern Herr Schröder“ – war vor den Augen eines Millionenpublikums die Übertragung der mittelalterlichen Lehre von den zwei Körpern des Königs in die Medienwelt des 21. Jahrhunderts.
Nikolaus Brender ist Nikolaus Brender und kein Symbol. Es hieße, seine journalistische Bedeutung und die Bedeutung des Hanns Joachim Friedrichs-Preises relativieren, wenn man die glückliche Wahl der Jury lediglich als Reflex auf aktuelle machtpolitische Tatbestände interpretieren würde. Aber wie die Dinge liegen, kann man von ihnen nicht schweigen, denn Brenders Auftritt war eine Manifestation von Überparteilichkeit. Hier hatte einer keine linke oder rechte Politik gemacht, sondern puren Journalismus in einer Sekunde fast des Ausnahmezustandes. Anders als bei anderen Fällen, in dem das öffentlich-rechtliche Fernsehen unter den Druck der Politik gerät, wurde hier der Zuschauer zum Zeugen journalistischer Autonomie. Es war offen. Es lag vor aller Augen und jeder konnte sich seine Meinung bilden. Das passierte nicht in Hinterzimmern.
Anders als bei dem Vorgang, der sich in den letzten Monaten abgespielt hat und der geeignet ist, den Sender, in dem Nikolaus Brender arbeitet, nachhaltig zu beschädigen. Denn der fand eine ganze Weile lang im Verborgenen statt. Es geht hier um die Gefahr eines Eingriffs in die DNA, in das Erbgut eines Senders. Und es ist gar nicht nötig, von Märtyrern zu reden. Und ich glaube auch keine Sekunde, dass Redakteure des öffentlich-rechtlichen Fernsehens sich trotz der drohenden Beschädigung des Chefredakteurs und eines sehr verantwortungsbewussten Intendanten das Rückgrat brechen lassen. Aber darum geht es vielleicht gar nicht. Vielleicht geht es darum, welche Schlüsse die Öffentlichkeit zieht, ob sie glauben kann, dass der Journalist, der einen Politiker interviewt, noch frei ist, wenn es der gleiche Politiker ist, der soeben demonstriert hat, dass er unmittelbare Macht über Geist und Inhalt eines Senders hat. Wer im Zusammenhang mit den Vorgängen im ZDF mit den Politikern redet, der konnte zuweilen den Eindruck haben, er rede nicht mit Politikern, sondern mit professionellen Medienkritikern. Da war - scheinbar sachlich - von Stefan Niggemeyer widerlegt - von Quoten die Rede und vor allem immer wieder mit Recht von den jungen Zuschauern. Ich habe großen Respekt davor, wie alle meinen Kollegen, wenn ein fast 70-jähriger Ex-Ministerpräsident sich um die jugendlichen Zuschauer sorgt. Aber, wir können die Sorge zurückgeben. Wen sieht man denn zu 90 % in einer 20-minütigen Nachrichtensendung? Wer sind denn die Stars, die abgebildet werden und abgebildet werden wollen? Und wo drängt eigentlich die Jugend in die Parteien?
Nikolaus Brender hat alle diese Fragen thematisiert. Von ihm stammt der Satz, nichts leichter als Quote, wo es um die Nachrichtensendungen des Fernsehens geht. Es gilt – mit Verlaub – auch für uns, für die Zeitungen. Wir können durch das Internet sehr genau feststellen, welche Themen Quote bringen und welche nicht. Das Ergebnis ist nicht sehr schmeichelhaft für die Politik. Ich bin also überzeugt, dass Politik klug handeln wird. Es wird kein Gesichtsverlust sein, wenn sie dem Intendanten des ZDF traut, dass er weiß, was er tut, sondern ein Akt der Souveränität. Allerdings ein Akt der Souveränität, auf den wir als Bürger ein Anrecht haben. Die neuen Informationstechnologien zwingen zu einer Revision eingespielter Routine. Dazu gehört – worauf der Verfassungsrichter Grimm in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hingewiesen hat -, dass Ministerpräsidenten nicht in Verwaltungsräte gehören. Es war Otto Graf Lambsdorff, der in einem Leserbrief an unsere Zeitung auf das schlechthin Widersinnige der sogenannten Causa Brender hingewiesen hat. Es wäre an der Zeit, dass die kleineren Parteien – und es sieht so aus, Herr Baum, dass sie es könnten, FDP und Grüne – vor dem Bundesverfassungsgericht klären, wie weit der Arm der Parteien in die öffentlich-rechtlichen Systeme reichen darf. Aufgrund der Entwicklung der Mediengesellschaft und der Zukunft der Zeitung ist das auch für uns Zeitung von allergrößter Bedeutung. Denn, ob wir Leser finden in der Zukunft, hängt auch davon ab, ob das Fernsehen in der Lage ist, eine neue Generation politisch zu wecken und zu interessieren. Denn das passiert erst über das Fernsehen.
In den nächsten Jahren wird sich entscheiden, ob bei aller Diversifikation der Medien noch verbindliche geometrische Orte der Informationsvermittlung existieren, auf die sich die Mehrheit der Gesellschaft einigen kann. Dazu zählen die Nachrichtensendungen der öffentlich-rechtlichen Sender ebenso wie die überregionalen Zeitungen.
Nikolaus Brender hat gezeigt, was Fernsehjournalismus in entscheidenden Augenblicken vermag. Staatsferne ist das Gebot, weil nur durch journalistische Distanz überhaupt jene Nähe zu unseren Gemeinwesen entstehen kann, die mehr ist als Partei- und Interessenpolitik. Die Gremien, in diesem Fall das ZDF, haben eine große Chance. Sie mögen endlich akzeptieren, dass es in dieser Debatte keinen doppelten Boden, keine verschwiegenen Absichten, keine Klub-Solidarität und keine Gefälligkeiten gibt. Es ist vielmehr das Gefühl von Journalisten unterschiedlichster Medien, dass hier eine elementare Grenze überschritten wird. Das Signal, das wir von Seiten der Politik in diesen nun weiß Gott schweren Zeiten brauchen, ist nicht Abwehr, Verbarrikadierung, Wagenburg, es ist ein ganz einfaches Signal und es stammt übrigens wiederum von Hanns Joachim Friedrichs: Das Tor in der Mauer steht weit offen.
Herzlichen Glückwunsch!"