Wolf Biermann - Laudator 2002
"Ja, Du hast das gut gemacht eben. Das war für mich schön zu hören, wie Du berichtest über Deine Arbeit dort. Und es stimmt, als wir noch im Osten uns sahen und Du warst in meiner Wohnung in der Chausseestraße 131, da ist es Dir wahrscheinlich wie jedem gegangen, der zu mir kam, der musste sich erstmal zwei Stunden die neuesten Lieder anhören. Irgendwo musste ich ja üben, ich hatte ja keine Konzerte. Und wenn wir jetzt alleine säßen, in der Chausseestraße, und ich könnte Dir ein Lied vorsingen, dass ich jetzt gerade geschrieben habe, dann würde ich vielleicht singen mit der Gitarre natürlich: Ich weiß, ich weiß, ich weiß ja Unrecht ist uralt, Verlust ist unser Hauptgewinn, und doch ließ mich kein Elend kalt, mich wundert, dass ich so, mich wundert, dass ich so, dass ich so zornig bin.
Das passt ja gut zu Dir. Und ich habe, eigentlich kenne ich ihn viel zu wenig. Was weiß ich schon, wie der damals in Ostberlin wirklich war? Wie der heute ist in Moskau. Ich sehe gelegentlich seine Sendungen und denke, der sieht immer besser aus, je mehr das Alter sein Gesicht verformt. Er war vor nun 30 Jahren als blasser junger Mann aus dem Westen auf den Außenposten nach Ostberlin geraten. Für einen strammen Ostlandreiter ein bisschen zu schüchtern, zu gutgläubig. Und für einen kaltschnäuzigen Medienkrieger kommt Dirk Sager mir mehr und mehr als zu wahrheitsversessen vor und zu empfindsam, also eher kriegsuntauglich für den kalten Krieg.
Sie erinnern sich, in der frühen Etappe, also in den 50er und 60er Jahren, da waren im zerrissenen Deutschland die meisten Westjournalisten gegenüber der kleinen, schmuddeligen DDR eher hochnäsig gewesen. Oder, wie die Franzosen grobianisch-deutsch sagen: sie furzten höher als ihr Hintern kommt. West-Korrespondenten berichteten feindseelig über die Ostzone jenseits des eisernen Vorhangs wie über ein unbewohnbares Un-Land, wie über ein totalitäres Bestiarium, und konnten dabei oftmals eine Schlange nicht von einem Karnickel unterscheiden. In der folgenden Phase der neuen Ostpolitik, als vor nun 30 Jahren durch den ausgehandelten Grundlagenvertrag akkreditierte West-Journalisten sogar in Ostberlin ihre Büros betreiben durften, kippten dann aber etliche dieser plötzlich so exotisch Privilegierten in die dazu passende Gegenschiefheit. Sie verhielten sich nun geradezu ängstlich devot, allzu diplomatisch. Unklug vermieden sie peinlich den Westfinger in irgendwelche Ostwunden zu legen. Und für diese politische Liebedienerei hatten sie sogar eine plausible Begründung. Nach all dem versprühten Gift im Grabenkrieg des Ost-West-Konfliktes müsse der verteufelte DDR-Staat nun ent-teufelt werden, nun müsse man endlich den Menschen im Westen verklickern, dass die DDR-Deutschen da drüben, mit denen man ins Geschäft kommen wollte, ersten auch Menschen sind und zweitens Deutsche.
Dirk Sager aber gehörte mehr zum Schlage wie Leuten wie Lothar Loewe oder wie Jörg Mettge und Ulrich Schwarz vom Spiegel. Dieser Dirk Sager gehörte, so kam es mir jedenfalls vor, als Redakteur beim ZDF-Studio und aus Berlin zudem, die damals weder hoch-näsig noch tief-näsig waren, wenn sie ihre Nase in unsere DDR-Angelegenheiten steckten. Dirk Sager, der in der Regel ja andere interviewt, wurde selbst mal befragt über seine Reporterrolle im blutigen Kuddelmuddel, also dieses Mal im Durcheinander des Afghanischen Krieges. Ihm wurde also die Gretchenfrage gestellt: ist es nicht schwierig, im Kriegsgebiet als Berichterstatter objektiv zu bleiben, nicht insgeheim Partei zu ergreifen für die unterdrückte, die schwächere Seite. Und der Sager antwortete im Reflex, wie aus dem Schulbuch für Journalisten, in einer demokratischen Gesellschaft freilich. Allerdings missriet ihm die Antwort zu einem, wie ich finde, hinreißend wahrhaftigen Widerspruch. Am Anfang seiner Sätze sagte er nämlich: Ja, ich, der Reporter, der Sager, nein, nein, ich ergreife niemals Partei. Aber am Ende sagte er das genaue Gegenteil. Im O-Ton, aus seinem Munde hört sich das so an: "Nein, Partei zu ergreifen ist nicht meine Aufgabe." Stimmt, nicht? Hast Du gesagt. "Meine Aufgabe ist es, die Gebührenzähler, -zahler nicht -zähler, die Gebührenzahler des ZDF über die Lage im Land möglichst sachlich zu informieren. Das ist auch keine sportliche Aufgabe oder mutige Tat." Du hast ja eben auch gesprochen. "Ich mache dort einfach meinen Job. Das Gerede vom emotionalen Reporter ist Unsinn. Ganz persönlich bin ich natürlich gegen die Talliban und gegen Bin Laden. Ich habe in Kabul mit gequälten Frauen gesprochen und das Leid gesehen, das die Talliban angerichtet haben. Da ergreift man Partei. Da verschließt man nicht die Augen." Von Gotthold Ephraim Lessing stammt das Wort: Wer der Wahrheit mit Hilfe von Lügen zum Siege verhelfen will, der kann wohl der Kuppler der Wahrheit werden, aber niemals ihr Geliebter.
In diesem Sinne gehört dieser Dirk Sager offenbar zu denen, die von der Göttin der Wahrheit geliebt werden können. Und wenn diese göttliche Frau begeistert ist von unserem Freund Dirk Sager, na, dann wollen wir dem Mann, in den sogar eine Himmlische verknallt ist, unsere irdische Menschenliebe nicht versagen. Also wird heute diesem tapferen Filmeschneiderlein hier in Köln beim WDR der Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis des Jahres 2002 verliehen. HaJo, wie seine Kollegen den verstorbenen Hanns-Joachim Friedrichs nannten, der lieferte übrigens dasselbe, was ich Ihnen eben über die ethischen Geschäftsbedingungen des Journalismus umständlich serviert habe mit einem lapidaren Satz: Du darfst Dich als Journalist nicht gemein machen - auch nicht mit einer guten Sache.
Stimmt das Zitat? Die Frau weiß es.
Nunja, ein Dichter dürfte sich an so eine grausame Verhaltensregel nicht halten. Von mir würden die Musen sich schaudernd abwenden, wenn ich mich so verhalten würde. Ich stehe auf der Gegenseite in diesem Punkt. Der Journalist aber mag persönlich begeistert und entzückt, er mag gelegentlich erschüttert oder sogar entsetzt sein - er will und darf sich halt nicht penetrant mit seinen Meinungen und Gefühlen zwischen uns und die Wirklichkeit drängeln. Wenn überhaupt, dann sollte er zwischen dem einzelnen Zuschauer am Fernsehapparat und dieser irrenden Menschheit da draußen so was sein wie eine Bridge over troubled water. Alles, was uns gute Journalisten aus aller Welt ins Wohnzimmer liefern, hat ja auch eine tagespolitische Brisanz für uns hier in Deutschland. Die Überbringer der Nachrichten bewegen sich immer auch im Koordinatensystem eines Problems so alt wie die Menschheit: Wer überbringt welche Nachricht wie und wem und in welcher akuten Situation?
Insofern hat der Medienmensch sehr wohl Macht und macht damit auch Politik. Da wir ja in einer Demokratie leben haben wir die Chance und die Verpflichtung, uns immer wieder neu in unsere eigenen Angelegenheiten einzumischen. Wie sollen wir Deutschen uns heute aber im wüsten Weltdurcheinander verhalten? Jetzt, im hochwahrscheinlichen Krieg gegen den Kriegstreiber und Hitlerbewunderer Saddam Hussein? Ist unser Verbündeter Präsident Bush nur ein schießwütiger Cowboy oder eher ein tapferer Humanist, der aus den Inkonsequenzen seines Vaters im ersten Golfkrieg gelernt hat? Ist unser Kanzler Schröder nun ein zynischer Machtmensch, der sich kurz vor den schon fast verlorenen Wahlen schnell in die appeasement-Pose warf, um mit dieser süßen Friedensmelodie die alternativen Friedensschafe in seinen Pferch zu locken? Oder ist Schröder großmütiger und weiser, als wir nachtragenden Kleingeister, die es empört, wenn Schröder den ehemaligen Spitzes des MfS, den IM Sekretär in sein Kabinett holt? Wächst da etwa zusammen, was wirklich zusammen gehört? Wie sollen wir Deutschen uns verhalten? Zum Vernichtungskrieg unseres knallharten Partners Putin, der als Geheimdienstoffizier der Sowjetunion in Dresden so sauber Deutsch gelernt hat. Er führt einen schmutzigen Krieg im Kaukasus. Oder ist das etwa auch ein leider notwendiger Anti-Terror-Kampf, so wie der schwierige und langwierige Krieg gegen die Leute von Bin Laden und die hinter ihm stehen? Werden davon Putins russische Armee ein paar terroristische Tschetschenen bekämpft und liquidiert oder wird dort im Schatten attraktiverer Weltkatastrophen systematisch ein widerspenstiges Volk ausgerottet? Sollen wir mit den Amerikanern und Briten in den nächsten Golfkrieg ziehen? Soll ein Exportland, wie das unsere, die Augen zukneifen, sich die Ohren verstopfen und lieber mit dem neuen Zaren im Kreml lukrative Geschäfte machen und uns durch eine moralische Kapitulation vor den Franzosen, vor den Engländern und den USA den gigantischen Markt Russland und die Milliardenaufträge sichern?
Dirk Sager ist einer von denen, die uns, mir auch, helfen, in diesem Wust divergierender Interessen bei aller komplizierten Kompliziertheit dennoch immer wieder auch zwei Wörter zu wagen, um die wir uns am Ende doch nicht herumdrücken können. Nämlich: nein und ja.
Darum freue ich mich, dass statt all der Gewehrkugeln, der Schrapnelle, Granatsplitter, Landminen und Bomben, die wir da auch im Film gelegentlich sehen, dass statt all dieser schrecklichen Metallteile in den diversen Kriegs- und Krisengebieten nun diese hohe Ehrung und unsere Glückwünsche gerade diesen Reporter erwischt haben: Dirk Sager."