Gerhard Schröder - Laudator 1999
"Verehrte, liebe Frau Friedrichs, meine sehr verehrten Damen und Herren. Ich bin sehr gerne gekommen. Vor allem Hanns-Joachim Friedrichs wegen, den seine Freunde Hajo nennen durften. Aber natürlich auch der Preisträger wegen. Hätte ich allerdings gewusst, dass Herr von Lojewski Rilkes Panter hier verballhornt, hätte ich es mir noch mal überlegt. Denn als Liebhaber dieser großartigen Lyrik muss man das dann wohl.
Aber im Ernst, ich bin auch gerne gekommen um deutlich zu machen, dass es mir wir anderen daran liegt und wichtig ist, in welche Richtung sich Journalismus in unserem Land entwickelt. Weil diese Frage auch damit zusammen hängt, wie sich die demokratische Öffentlichkeit in Deutschland insgesamt entwickelt. Und das liegt dann ja auch in der Absicht derjenigen, die sich Gedanken gemacht haben über den gesellschaftlichen Nutzen des Hanns-Joachim-Friedrichs-Preises, den Sinn für journalistische Qualität wach zu halten. Also Preisträger zu finden, die für kenntnisreiche Informationen und für kritische und wo immer es auch geht für souveräne Kommentierung stehen. Der Preisträger des Jahres 1999, Wolf von Lojewski, ist Moderator, oder wie man in seiner zweiten Muttersprache sagt Anchorman, des hintergründigen ZDF-Nachrichtenmagazins Heute-Journal, einer Sendung, der es auch Dank seiner Person immer wieder gelingt, das Tagesgeschehen einordnend zusammenzufassen und für die Zuschauer informativ zu präsentieren. Übrigens, das gilt auch dann, wenn ich mal wieder dran bin.
Den Förderpreis erhält Tina Hassel, die sich mit ihrer kenntnisreichen und originellen Berichterstattung von unserem wichtigsten Nachbarn, aus dem ARD-Studio Paris, wirklich einen Namen gemacht hat.
Und, wir haben schon darüber geredet, dass trotz des besonderen Umstandes dieser Preis nicht Nachwuchspreis heißen darf. Die Jury würde bei Wolff von Lojewski insbesondere, ich zitiere, ‚die hohe Glaubwürdigkeit' und seine Fähigkeit, wieder Zitat mit einfachen Worten ‚Ordnung in die verwirrende Fülle der Nachrichten zu bringen. Ich denke, das war sichtbar in den kurzen Filmbeiträgen, die überspielt worden sind. Sachkundige Berichterstattung und unterhaltsame Reportagen aus dem Alltag der Franzosen hebt die Jury als Leistung von Tina Hassel hervor. Auch das, denke ich, konnte man sehen.
Mir liegt daran zu betonen, dass hier zwei überaus moderne, zeitgemäße Journalisten ausgezeichnet werden. Sie sind modern, gerade weil manches Attribut, das einem zu ihnen und der von ihnen verkörperten Arbeit von Journalismus einfällt, keineswegs modisch klingt. Unprätentiös machen sie ihren Job, kenntnisreich und an der Sache orientiert. Und, man glaubt es nicht, sie können sogar mit Sprache umgehen.
Sie verkörpern Wissen und solide Recherche, sie sind nah genug dran, um Zusammenhänge erläutern zu können, aber auch distanziert genug, um den Überblick zu bewahren. Man glaubt es ihm einfach, wenn Wolf von Lojewski als sein Motto einmal nannte: Schone die Besiegten und bekämpfe die Hochmütigen. Und auf die Frage, worüber er lachen könne antwortete er im übrigen: über mich. Das wünscht man sich.
Warum betone ich nicht nur die persönlichen Qualitäten, sondern insbesondere die Tugenden der Berufsauffassung der heute Ausgezeichneten als Anforderung an modernen Journalismus? Ich tue es aus ganz grundsätzlichen Überlegungen heraus. Wir sprechen ständig miteinander von den großen bevorstehenden oder bereits stattfindenden Umwälzungen hin zur Wissens- und Informationsgesellschaft und stehen dabei in der Gefahr, dass wir uns nur noch begeistern für die zweifellos großartigen Möglichkeiten der modernen Kommunikationstechniken, aber gleichgültig werden, oder gleichgültiger, gegenüber den Inhalten, also dem, was wir dem Menschen zu sagen haben. Natürlich hat das auch zu tun mit der Kommerzialisierung des Medienmarktes und mit der Digitalisierung. Dies wird zu einer neuerlichen Explosion des Angebotes insbesondere bei den elektronischen Medien führen. Das wird aber nicht nur zu einem erheblichen Konkurrenzkampf zwischen den Medien, sondern auch zu einem Konkurrenzkampf der Formate, der Angebote in den Medien. Information hat gegenüber unterhaltenden Inhalten in der Gunst der Zuschauer als Folge dessen einen immer schwereren Stand.
Auch politische Kommunikation ist mehr und mehr den Gesetzen der Marktlogik unterworfen, die sehr wandlungsfähig sind. Die Quote wird zum entscheidenden Maßstab, auch für Informationsprogramme. So besteht durchaus die Gefahr, dass sich über Medien hergestellte Medienöffentlichkeit von der Politik als einem Kernbereich der Gesellschaft einfach löst, wenn sie nicht zu unterhaltungs-, und damit zu Erfolgszwecken instrumentalisiert werden kann. Kommerzialisierung ändert auch die Arbeitsbedingungen der Journalisten. Der Aktualitätsdruck wird immer größer. Darunter leidet immer häufiger die Sorgfaltspflicht. Letzteres, denke ich, ist dabei ein entscheidendes Qualitätsmerkmal für wirklich guten Journalismus. Der Bundespräsident hat vor kurzem kritisch festgestellt, in den Medien gäbe es, wie er gesagt hat, zu viel Krawall und zu wenig Recherche. Der Philosophiekongress hat die Verzerrung der eigenen Anliegen und der Aussagen durch die Medien kritisiert. Dennoch begegne ich jedenfalls Nil Postmanns Auffassung mit Skepsis, wir würden uns zu Tode amüsieren. Und ich widerspreche auch Peter Sloterdijk, wenn er in Analogie zum späten Rom von der heutigen Medienlandschaft als Amüsierfaschismus spricht. Aber ich denke, auch wenn man das zurückweist, als übertrieben zurückweist, kann man gerade entschieden zu einer Rückbesinnung auf das, was man journalistisches Ethos nennt, sich aussprechen. Dies muss in Bildung und Ausbildung für Journalismus wieder eine deutlich größere Rolle spielen.
Die heutigen Preisträger geben dafür, denke ich, ein wirklich gutes Beispiel ab. Die hier versammelten sehe ich dafür in besonderer Verantwortung, gleichgültig, wo sie leben und arbeiten. Redlichkeit, individuelle Verantwortung für das eigene journalistische Produkt werden um so wichtiger, je schneller und umfassender und direkter auf die einzelnen Empfänger zugeschnitten, die technischen Möglichkeiten der Kommunikation werden. Gegenwärtig schon tobt ein Kampf um die knappe Ressource Aufmerksamkeit. Es gibt eine Abfolge sich ständig steigender Events, wie man das nennt, in- und out-Listen, Trendstimmungen und Moden. Wer öffentlich kommuniziert wird daran nicht völlig vorbei sehen können. Da ist dann auch durchaus ok, wenn der Bundeskanzler, der ja Kanzler aller Deutschen ist, einmal auf einem medialen Familienfest wie etwa der ZDF-Sendung "Wetten, dass.." auftritt. Einmal. Insgesamt aber, so glaube ich, sind wir erst noch dabei, den öffentlichen Gebrauch der Vernunft in mitten der medialen Umwälzung zu erlernen. Versuchen wir es doch ruhig gemeinsam, Politik und Medien im harten, kritischen, aber allemal sachlichen Dialog so etwas wie eine Ökologie des öffentlichen Diskurses zu entwickeln. In der Nachhaltigkeit argumentative Kraft und gedankliche Tiefe wieder bedeutender werden, als Reklame oder eben aber Event-Strategien. Seien Sie sicher, dass ich mich davor keineswegs fürchte. Im Gegenteil. Für mich ist und bleibt unser öffentlicher Umfang immer auch ein Signal für den Umfang der Menschen im Land miteinander. So vor allem habe ich auch meine öffentliche Beschwerde an die Adresse der Gesellschafter verstanden, die mit jener unappetitlichen Gummipuppe zu tun hatten, von der Sie gehört haben werden. Es ist alles andere als ein Eingriff in die Pressefreiheit, wenn ich darauf hinweise, dass auch kommerzielle Fernsehsender bei allen berechtigten wirtschaftlichen Erwartungen den kulturellen Wert ihres Tuns bedenken. Und der betrifft nicht nur betroffene Einzelne. Und es gibt eine kulturelle Untergrenze für das, was wir uns zumuten sollten. Und seien Sie sicher, mehr als alle Gerd-Shows dieser Welt bewegt es mich jedenfalls, die Politik der Bundesregierung darlegen zu können, begleitet durch kritische, aber allemal seriöse Medienberichterstattung. Denn wir müssen nach Jahren der lähmenden Stagnation dieses Land umbauen, dass ist eine bittere Notwendigkeit, aber auch eine großartige Chance.
Darüber brauchen wir eine gesellschaftliche Selbstverständigung, eine staatsbürgerliche Debatte über das Gemeinwohl, an der sich nicht nur einzelne Interessengruppen lautstark beteiligen. Wir sind angetreten, die Stagnation aufzubrechen und wir erhoffen uns auch eine Re-Politisierung der Öffentlichkeit. Dafür ist nicht die Politik allein verantwortlich. Das ist eine Aufgabe auch an alle, die in den Medien tätig sind. Medien sind Mittel der gesellschaftlichen Selbstverständigung, aber nie der Zweck, an dem Politik sich orientieren darf. Es entspricht unserer Tradition der Aufklärung, die Medien zu nutzen, um Bildung, um Wissen, Information und kulturvollen Umgang miteinander zu verbreiten. Es entspricht unserer demokratischen Verfassung und Gepflogenheit, dass Sie als Akteure und Gestalter des Fernsehens vor allem die Medien nutzen, zur Kontrolle der Regierenden. Das ist wohl wahr. Allen in den Medien verantwortlich Tätigen sage ich deshalb, ja schauen Sie uns ruhig auf die Finger. Aber werden Sie auch nicht Opfer der von Ihnen selbst in die Welt gesetzten Inszenierungen. Für die Gegenwart und erst Recht für die Zukunft der Mediengesellschaft wäre es unheilvoll, wenn die Medien sich nur noch selbst feierten als ihre einzig verbliebene Botschaft.
Allemal aber denke ich sind wir heute hier, um den Preisträgern zu gratulieren. Das will ich tun. Ich gratuliere den heutigen Preisträgern Wolf von Lojewski und Tina Hassel, die sich dieser Tendenz beispielhaft und erfolgreich immer widersetzt haben."