Joschka Fischer - Laudator 1998
"Meine Damen und Herren, verehrte Preisträgerin, verehrter Preisträger. Als ich zugesagt habe, hier die Laudatio zu halten, da war von den jüngsten Entwicklungen noch nicht die Rede. Sie waren, wenn überhaupt, erst in zartesten Ansätzen erahnbar für die Beteiligten. Dennoch habe ich gerne zugesagt. Nicht nur, wegen meiner Verehrung für den Namensgeber dieses Preises, für den unvergessenen Hanns-Joachim Friedrichs, nicht nur wegen Ihnen, Herr Dreckmann und Ihrer Arbeit, sondern auch des Themas wegen. Die Frage der Zukunft einer kritischen, einer unabhängigen Berichterstattung, einer unabhängigen Presse ist eine der zentralen Herausforderungen, vor denen wir stehen. Das sagt sich leicht.
Wir haben gerade die Bilder gesehen, wie viele Journalisten, weniger Auslandskorrespondenten als oft Korrespondenten, Redakteure, Zeitungsmacher, Medienmacher in dem jeweiligen betroffenen Land, die nicht unter konsularischem Schutz stehen, die nicht unter dem Schutz einer auswärtigen Macht stehen, sind davon die Haupt-Betroffenen. Die Gefängnisse, die Friedhöfe sind voll mit solchen Kolleginnen und Kollegen, die oft auch zu langjährigen Haftstrafen verurteilt werden. Sie alle aber machen klar, wie wichtig es ist, dass es eine unabhängige Öffentlichkeit gibt und dass diese unabhängige Öffentlichkeit durchzusetzen zu dem unveräußerlichen Bestand der Menschenrechte, national wie international gehört. Deswegen ist aus meiner Sicht das Eintreten für unabhängige Medien eine der Grundvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Zusammenleben. Und ich sage dieses auch vor dem Hintergrund dessen, was man Globalisierung nennt.
Heute hören es viele nicht mehr gerne, aber ich kann mich noch erinnern, wie vor einem Jahr so mancher aus Ostasien zurück kam, so mancher bedeutende Wirtschaftsführer, der hinter nur mühlselig vorgehaltener Hand die asiatischen Werte pries und dabei eine Relativierung von unabhängiger Berichterstattung eine Relativierung von kritischer und unabhängiger Öffentlichkeit durchaus das Wort redete unter dem Gesichtspunkt, in Aufbauphasen dürfe man es nicht so genau nehmen. Wohin das geführt hat, kann man heute besichtigen.
Aber lassen Sie mich hier auch eine ganz aktuelle persönliche Bemerkung noch anknüpfen. Die Frage ist auch, ob Unterdrücker, ob Diktatoren, ob staatlich organisierter Mord und diese Mörder dauerhaft eine Chance haben werden, davon zu kommen. Und in diesem Lichte gestatten Sie mir die sehr persönliche Bemerkung, dass ich die Festnahme von Augusto Pinochet in London als ein Hoffnung machendes Signal ansehe. Viele hier sind alt genug, um sich an die schrecklichen Tage und Wochen, auch an die Unterdrückung und Ermordung von Journalisten und Künstlern damals zu erinnern. Und in so fern denke ich mir, das Signal, das davon ausgeht, aber auch das Signal, das vom Haager Gerichtshof ausgeht, das Signal, das davon ausgeht, dass Völkermord nicht unbestraft bleiben darf und dass es nirgendwo ein Recht für Diktatoren gibt, die eigene Bevölkerung zu unterdrücken, zu kujunieren oder gar zu ermorden, dass dies die internationale Staatengemeinschaft, wenn auch mit großen Einschränkungen, nicht jeder Mächtige wird hier dem selben Recht unterworfen, aber es kann kein Argument sein, dass, wenn man an der einen Stelle nicht zugreifen kann, man dann an anderer Stelle ebenfalls die Hände in den Schoß legen muss. Ich finde, es ist eine sehr, sehr wichtige Entwicklung, dass die internationale Völker- und Staatengemeinschaft nicht mehr bereit ist, solche Entwicklungen tatenlos hinzunehmen und dass die Einrichtung des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag hier einen sehr, sehr wichtigen Schritt nach vorne bedeutet.
Hanns-Joachim Friedrichs hat einen hohen Maßstab für die kritische Berichterstattung und für den Beruf des Journalisten angesetzt. Wahrhaftigkeit, aber diese Wahrhaftigkeit band er an die Distanz. Die Distanz zum Objekt der Berichterstattung. Mag es noch so schrecklich, mag es noch so furchtbar, mag es noch so schön, mag es noch so gut sein. Ich denke, es ist wichtig, in dieser Zeit daran zu erinnern. Denn die Pressefreiheit wird nicht nur von der gewalttätigen Distanzlosigkeit, von Diktatoren und ihren Regimen bedroht. Wir müssen auch die Frage stellen, wie weit es nicht eine innere Gefährdung der Pressefreiheit heute gibt, jenseits aller Gewalt und Unterdrückung. Und ob diese Form der Gefährdung nicht am Ende die gefährlichere ist. Ein Erlebnis, das viele Dissidenten in Diktaturen machen ist die Erfahrung der Unterdrückung. Aber das macht auch den Widerstand und die Notwendigkeit von Widerstand für die Mutigen sehr klar.
Hingegen die innere Gefährdung der Pressefreiheit sind diffuser, sind andere. Die Quote ist vorhin angesprochen worden. Der Kommerz kann wirksamer den Anspruch der kritischen, der objektiven, der distanzierten, der einem Wahrheitsanspruch verpflichteten Information gefährden, als es etwa eine noch so blutige Diktatur tut. In so fern stellt sich hier auch die Frage, wie wir diesen Gefährdungen entgegentreten können. Ich denke, gerade die Öffentlich-Rechtlichen, und gestatten Sie mir, Herr Intendant, dies in Ihrer Gegenwart zu tun, die Öffentlich-Rechtlichen haben im dualen System hier eine große Chance und haben auch ein großartiges Erbe, das sie zu verwalten haben. So wichtig die Quote ist, und in der Tat, jemand sollte zuschauen. Aber wir dürfen nie vergessen, und gerade auch als Politiker erlebt man die Verführung des Mediums Fernsehen nur zu oft, es ist der direkte Zugriff auf die Emotionen, auf die Köpfe der Menschen, die dieses Medium, dieses faszinierende Medium ermöglicht. Dieser direkte Zugriff schafft allerdings auch eine große Verantwortung. Dieser Verantwortung gerecht zu werden, glaube ich, macht es notwendig, bei der Ausbildung jüngerer Journalistinnen und Journalisten noch viel mehr Sorgfalt an den Tag zu legen, was die ethische Fundierung, was aber auch das Berufsbild des Nachwuchsjournalismus betrifft.
Vieles von dem, was ich hier an persönlichen Erlebnissen in den vergangenen Monaten, um nicht zu sagen in den vergangenen drei Jahren habe, stimmt mich da sehr, sehr skeptisch. Und ich möchte die Gelegenheit hier nutzen, an alle Versammelten aus der Branche zu appellieren, einer sorgfältigen, qualitativ hoch stehenden und ethisch fundierten Journalistinnen- und Journalistenausbildung noch mehr Anstrengung zuzuwenden, als dies in der Vergangenheit der Fall war. Denn Infotainment, Einschaltquote, die Dauerberieselung - all das führt letztendlich dazu, dass wir es nicht mehr mit aufklärender Information, sondern mehr und mehr mit schnell produziertem Informationsmüll zu tun haben. Und das ist meines Erachtens eine hoch-gefährliche Entwicklung, die die Freiheit der Presse, die die Freiheit der Medien in unseren Bedingungen zu gefährden droht.
Ich möchte der Jury gratulieren. Zwei Preisträger/Preisträgerin, der Nachwuchspreis an Carla Kniestedt, der Hauptpreis an Hans Josef Dreckmann - zwei völlig unterschiedliche Journalisten-Generationen, Journalistinnen-Generationen. Ich denke, Sie haben, das hat die Zusammenfassung gezeigt, das hat aber auch, kann ich als Betrachter vor allen Dingen Ihrer Berichterstattung, weniger des ORB aus regionalen Gründen, aber vor allen Dingen Ihrer Berichterstattung und der Berichterstattung selbstverständlich aus den Zeiten der großen Hochwasserkatastrophe - ich kann Ihnen dazu nur nachdrücklich gratulieren. Ich möchte Sie ermutigen, auf diesem Weg weiterzumachen und möchte beiden Preisträgern nochmals alles Gute wünschen und viel Kraft, diesen Weg weiter zu beschreiten. Ich denke, Sie sind Vorbild, jede und jeder auf ihre Art, für andere Journalisten und, ich hoffe, für den Journalistinnen- und Journalistennachwuchs.
Vielen Dank."