Heiner Geißler - Laudator 1996

Laudator Heiner Geißler
Heiner Geißler

"Frau von Welser, Frau Gerster, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich nehme schon an, dass diejenigen, die mich eingeladen haben, sich dabei was gedacht haben. Vielleicht habe ich auch frauenpolitisch das eine oder andere getan. Aber ich bekenne, ich halte diese Festrede mit einem Gefühl der Unzulänglichkeit, weil dass das, was Mona Lisa als politisches Magazin an Vorstellungen und Forderungen entwickelt, eine sehr hohe Meßlatte ist, die wir leider in der Politik nicht immer überspringen. Mona Lisa ist eigentlich ein Wunder. In einer Mediengesellschaft, die von Begriffen wie "Fun and Business" beherrscht wird, dürfte eigentlich eine Sendung wie Mona Lisa, die laut ZDF Frauenthemen aus dem weiblichen Blickwinkel, dazu noch seriös, nicht langweilig wie die Bildzeitung einmal gesagt hat, darstellen will, gegenüber einer aggressiven Unterhaltungsindustrie und Maschinerie nur geringe Chancen des Überlebens haben. Erst recht zu der Sendezeit, in der sie gesendet wird, das darf man ja hinzufügen. Aber zweieinhalb Millionen Zuschauer und eine Einschaltquote von 6 - 8 Prozent, was sind die Geheimnisse des Erfolgs?

Ich glaube, erstens einmal die Ansichten von den Dingen, die Mona Lisa vermittelt und vermittelt hat, die Ansichten von Grosny, von vergewaltigten, gedemütigten Frauen, von den Bräuten den Choran, von behinderten Frauen, von Frauen-Demos und Frauen-Streiks haben Mona Lisa berühmt und journalistisch unanfechtbar gemacht. Und die Ansichten über die Dinge, über den Weltkatechismus der Katholischen Kirche, über 218, über die Rentennachteile von Frauen, über Weltfrauenkonferenzen - die letzte in Peking, über Homosexualität und Ehe haben Mona Lisa wahnsinnig interessant, aber gleichzeitig oft auch zur Provokation gemacht.

Ich glaube, es gibt noch ein zweites Geheimnis. Das sind Sie beiden, die beiden Frauen, die diese Sendung moderieren, und ihre Redaktion. Sie beide und die Redaktion bekommen ja den Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis. Zwei Frauen von großem journalistischen Format. Ich will einmal das sagen, wie ich Sie immer gesehen habe, wie ich Ihre Sendung gesehen habe. Ich bin ja ein- oder zwei oder dreimal auch bei Ihnen gewesen. Sie sind sehr mutig gewesen, von Anfang an, auch schonungslos. Ich habe das selber erfahren. Aber auch Freundinnen, Parteifreundinnen aus meiner eigenen Partei, von anderen will ich nicht sprechen. Und in einem Punkt, da möchte ich eigentlich dieser Beschreibung des Journalisten, wie sie gerade zitiert worden ist von Hanns-Joachim Friedrichs, widersprechen. Ich glaube, dass Sie diesem großen Journalisten in dem was Sie tun journalistisch ebenbürtig sind, aber dass Sie doch in einem Punkt etwas abweichen von dem, was er für richtig hält journalistisch. Dass sie nämlich nicht distanziert sind in allen Fällen, nämlich dann, wenn wegen der Schwere, der Aussichtslosigkeit der Sache, des Gegenstandes, wenn man es so nennen darf, die Distanz verlieren. Und ich finde zu Recht, wenn es um die schweren Menschenrechtsverletzungen von Frauen geht.

Es gibt keine Bevölkerungsgruppe, wenn ich es mal so nennen darf, auf der Erde, die mehr entrechtet, gedemütigt und in ihren Rechten beeinträchtigt wird wie die Frauen. In Deutschland ist es kein Thema. Aber es müsste ein Thema sein. Der Stoff geht wirklich nicht aus. Die Notwendigkeit, gute und positive Informationen über Jobbörsen, wie wir es getan haben, zu geben über die Psychotherapie, über Frauensport, Selbstverteidigung, Genetik und ihre Probleme. Das ist richtig. Aber auch, wir sollten die Frage beantworten, was ist aus Alice Scharzers Marsch durch die Institutionen geworden? Ich habe den Eindruck, dass irgendwie, jetzt will ich es etwas platt sagen, die Luft raus ist. Wir haben nicht mehr den Frauenpower, über den sie in ihrer Sendung auch immer wieder berichtet haben, wie das früher der Fall war. Sogar in Zeiten der Globalisierung der Märkte gehen Großkonzerne her und streichen den Frauen die Förderungspläne. Und nach wie vor sind ganze 6,3 Prozent der Führungspositionen nach einer Umfrage des Hoppenstedt-Verlages bei den 70 größten deutschen Unternehmen mit Frauen besetzt. Ich könnte diese Beispiele weiterführen. Es hat sich fast nichts gebessert. In den Parteien ein bisschen, in der einen mehr in der anderen weniger. Das ist auch wahr. Aber nicht bei den Gewerkschaften, nicht bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten. Und das müsste uns eigentlich besorgt machen. Und es ist ja auch wahr.

Unicef hat neulich die Zahlen veröffentlicht: 60% der Armen auf dieser Erde sind Frauen, 2/3 der Analphabeten sind Frauen. Und Amnesty International hat festgestellt: es gibt 110 Millionen an der Klitoris verstümmelte Frauen, aus religiösen Gründen. Und eine ungezählte, nur geschätzte Zahl, Millionen von Frauen, die jährlich Opfer von Vergewaltigungen und Mord werden, in die Sklaverei gebracht werden, zum Beispiel, weil sie keine Aussteuer beibringen können. Wir haben die Bevölkerungsexplosion, jede Sekunde kommen drei Menschen auf die Erde. Und wir wissen aus lateinamerikanischen Untersuchungen, das konnte ich schon in den 70er Jahren feststellen, dass die Frauen, die keine schulische Bildung haben, viermal mehr Kinder auf die Welt bringen als Frauen, die schulisch gebildet sind. Und die meisten Frauen werden in den Staaten geboren, in denen die Frauen am meisten entrechtet und unterdrückt werden: in Afghanistan, im Iran, in Saudi-Arabien, im Sudan. Deswegen kann man ja vielleicht verstehen, nicht wahr, wenn Sie, aber auch ich und andere die Frage der Menschenrechtsverletzungen nicht einfach hinnehmen wollen.

Irgendwo stand, Mona Lisa sei kein Emanzen-Programm. Das ist vielleicht auch kein schöner Ausdruck. Aber vielleicht brauchen wir wieder mehr Kraft in der Frauenbewegung. Die Frauenbewegung ist erlahmt, ist fast erschlafft, so habe ich es festgestellt. Es war für mich etwas Bedrückendes, dass zum Beispiel das Thema Atlanta-plus, das Sie, Gott sei Dank, aufgenommen haben, so gut wie überhaupt kein Echo gebracht hat. Und wenn ich hier in der Runde fragen würde, was ist Atlanta-plus, dann würde ich mal vermuten, dass 90% der hier Anwesenden nicht wissen, um was es sich hier handelt. Es handelt sich ganz einfach darum, dass wir seit Jahrzehnten Südafrika von der Teilnahme von Olympischen Spielen ausgeschlossen hatten, wegen der Rassenapartheid, wir aber alle Staaten zu den Olympischen Spielen zulassen, die Geschlechtsapartheid treiben, in denen Frauen von Staats wegen zum Beispiel nicht Sport treiben dürfen.

Ich habe vergeblich versucht, diese Sache zu thematisieren. Es ist im Bundestag, Gott sei Dank, zu einer gemeinsamen Initiative gekommen. Aber die Medien sind außer Mona Lisa ohne jedes Echo geblieben. Das ist eine bedrückende Situation. Und aus dem Grunde ist Mona Lisa eine Hoffnung, dass sich das wieder ändern kann. Und Mona Lisa darf nicht aufhören. Mona Lisa hat eine große Wirkung und Mona Lisa kann das Bewusstsein verändern. Und es lohnt sich ja auch. Ich bin fest davon überzeugt, ich habe es heute in vielen Interviews gesagt: auf die Frage hin, warum machen denn die Parteien Frauenquoten und Frauenforen. Weil ich der Auffassung bin, der festen Überzeugung, wenn Frauen, mehr Frauen, Verantwortung tragen in der Gesellschaft, diese Gesellschaft bürgernäher wird, friedlicher wird, freundlicher wird, menschlicher wird, ziviler wird und wenn statt der Kriegsverbrecher in Bosnien-Herzigowina, Milosevic, Karacic und wie sie alle heißen, Frauen in den oberen und mittleren Führungsrängen gewesen wären. Mütter mit Kindern, diese unzähligen Verbrechen hätten wahrscheinlich nicht stattgefunden. Und deswegen meine ich, wir brauchen eine Femininisierung unserer Gesellschaft. Ich habe das schon immer vertreten.

Frau von Welser, Sie haben einmal gesagt: ich wünsche mir, dass irgendwann kein Frauenprogramm mehr nötig ist, weil wir Frauen überall sind, wo wir hingehören, in allen Bereichen und weil Themen, die uns Frauen betreffen, überall gleichmäßig verteilt sind. So weit sind wir noch lange nicht. Und deswegen wünsche ich dieser Sendung Mona Lisa noch viele, viele gute Jahre. Und, das füge ich auch hinzu, ich wünsche mir, dass es immer in Deutschland und in Europa ein öffentlich-rechtliches Fernsehen gibt, damit eine Sendung wie Mona Lisa auf in der Zukunft möglich ist."