Keynote Speech von Prof. Bernhard Pörksen

Rede von Prof. Bernhard Pörksen, Medienwissenschaftler an der Universität Tübingen, anläßlich der Verleihung des Hanns-Joachim-Friedrichs-Preises für Fernsehjournalismus am 14. November 2019 in den Studios des WDR in Köln.


"Verehrte Preisträger, meine sehr geehrte Damen und Herren.

Was tun? Was tun gegen die Macht der Desinformation, die Fakenews-Schwemme, gegen bizarre Verschwörungstheorien, gegen die Macht der Lüge und des Spektakels unter digitalen Bedingungen. Vor einiger Zeit erschien in der FAZ ein Aufsatz, in dem ein Wissenschaftler kundtat, er habe die Lösung, er wisse was zu tun sei gegen Fakenews, gegen Desinformation. Und ich war natürlich sofort elektrisiert. Endlich mal ein Wissenschaftler, der nicht nur beschreibt, der nicht nur beklagt, sondern bewertet und eine Richtung gibt. Also hab ich gelesen und war dann aber gleich irritiert. Der Vorschlag dieses Wissenschaftlers, um gegen Fakenews und Desinformation vorzugehen lautete kurz und knapp: wir bräuchten etwas, was er eine Gnosikratie nannte. Ich muss gestehen, ich war auch deshalb irritiert, weil ich zunächst nicht verstanden hab, nicht wusste, was eine Gnosikratie ist, mich also leicht ausgeschlossen fühlte. Aber aus dem Kontext des Artikels war dann klar: Gnosikratie, das hatte der Autor selbst erfunden, um damit die Herrschaft der Wissenden zu bezeichnen. Gut, dachte ich, ich komme aus Tübingen, Tübinger Professor – wenn man keinen Einspruch hört, wenn wir Tübinger nur unter uns sind, dann gehören wir gleichsam, so unser Selbstgefühl, zur Herrschaft der Wissenden. Also fühlte ich mich wieder besser bei der Lektüre.

Aber dann wieder – es war ein Wechselbad – wieder schlechter, denn der Autor hatte einen ganz klaren Plan, wie diese Gnosikratie, diese Herrschaft der Wissenden herzustellen sei. Seine Antwort: Wer wählen will, der muss, bevor er die Wahlkabine betritt und womöglich irgendeinen Unsinn anstellt, einen Wissenstest absolvieren, durchgeführt von der Bundeszentrale für politische Bildung. Und wer besteht, darf wählen und wer eben nicht besteht, darf nicht wählen. Das ist ohne allzu große Polemik formuliert der Gedanke, man könne eine Demokratie retten, indem man sie abschafft.

Und doch hat mich dieser Vorschlag in seiner ganzen Absurdität beschäftigt, als eine Art Symptom. Als Symptom für den Aufklärungspessimismus, der längst die gesellschaftliche Mitte erreicht hat. Ich behaupte, das dystopische Denken ist nach dem Wahlsieg von Trump, nach dem Erfolg der pro-Brexit-Kampagnen, nach den Erfolgen der Populisten überall in Europa, weit in die gesellschaftliche Mitte vorgedrungen. Und Sie werden sehen, ich bin selbst nicht frei davon. Und in der Tat, es gibt ja jede Menge bedrückende Befunde. Bedrückende Befunde über die Macht der Desinformation. Die Macht von Fakenews, die systematische Asymmetrie von Fakenews-Verbreitung und Fakenews-Korrektur. Und es gibt einen amerikanischen Präsidenten, der im Durchschnitt – die Washington Post hat es dokumentiert in einer äußerst präzisen Statistik – acht bis 10 Mal pro Tag die Unwahrheit sagt. Und wenn Trump Sätze formuliert wie: „Ich bin ein mental stabiles Genie“, dann sagt die Washington Post - man hat einen sehr strickten Begriffe der Unwahrheit hier - und das ist noch keine Unwahrheit.

Also, in der Tat, es gibt jede Menge bedrückende Befunde. Aber muss man deshalb, wie der New Yorker, die New York Times und in Zeitungen überall auf der Welt gleich das postfaktische Zeitalter ausrufen, die Post-Truth-Era? Ich behaupte, wer vom postfaktischen Zeitalter spricht, der bedient das Vokabular der Resignation, bedient die Narrative des Niedergangs, zelebriert das Ende des Aufklärungszeitalters in einer Art merkwürdigen Form von apokalyptischer Geilheit.

Und doch, meine Damen und Herren, was tun? Was tun, wissend, dass der Problemdruck steigt; wissend, dass wir eine Wahrheits- und Wissenskrise erlebeben; wissend, dass es den Klimawandel gibt; wissend, dass Menschen sich in ihre mehr oder minder selbst fabrizierten, algorithmisch verstärkten Echokammern zurück ziehen können, sich vollkommen isolieren können in ihrer Perspektive vom Common Ground des Faktischen, weit emanzipiert. Was tun?

Und vielleicht, und zurecht, denn ich selbst hab gewissermaßen diese rhetorische Rampe gebaut, erwarten Sie jetzt eine Antwort. Aber ich hab keine. Natürlich, ich könnte Ihnen sagen: nehmen Sie Haltung an, das ist das Gebot der Stunde. Oder betreiben Sie konstruktiven Journalismus, lassen Sie das ganze negativistische Zeug, das frustriert die Menschen da draußen nur. Oder ich könnte Ihnen sagen: werden Sie Aktivist, wir haben noch 10 Jahre, das Zeitfenster wird enger. Oder ich könnte Sie in dieser Fehlinterpretation des Satzes des wunderbaren Hanns Joachim Friedrichs dazu verpflichten cool zu bleiben, also auf das Dogma der Coolness bestehen. Halten Sie Distanz, äqui Distanz zu allen Positionen und Parteien, bloß kein Engagement. Oder ich könnte weiter fortfahren und sage: folgen Sie der neuen Anti-Springer-Doktrin und kämpfen Sie gegen politische Korrektheit, das ist in diesen Zeiten definitiv das Wichtigste. Oder ich könnte Ihnen sagen, um individuell erfolgreich zu werden, versuchen Sie eine Art Meinungsikone zu werden im Deutungsbusiness und simulieren Sie unbedingte Gewissheit – Menschen suchen das. Gerade jetzt, gerade heute.

Aber wenn ich ehrlich bin, dann habe ich das Gefühl, dass diese Pauschalrezepte, diese Form der Auseinandersetzung, diese Routinen und Herangehensweisen eigentlich nur situativ ihre Berechtigungen haben. Sie sind eine Antwort auf eine konkrete Situation. Aber um Himmels Willen kein Pauschalrezept. Und ich habe keine pauschale Antwort. Wir haben und erleben den Klimawandel. Und damit gibt es eine Handlungsnotwendigkeit, die massiv ist. Wir erleben den Medienwandel und damit gibt es eine Öffnung des kommunikativen Raumes in Richtung einer radikalen Vielstimmigkeit. Und wir erleben den Wandel des politischen Stils in Richtung von Populismus, Attacke und Pöbelei. Und damit gibt es eine Polarisierung der Diskursverhältnisse, neue Verhinderungskonstellationen im politischen Feld, aber keine visionären Gestaltungsbündnisse, gerade in dieser Zeit. Keine Möglichkeit, gerade in dieser Zeit, wo dies so notwendig wäre, Konsens zu stiften. Und wir merken und erleben – zumindest geht mir dies so –, dass die Fertigroutinen nicht mehr greifen, die Fertigrezepte nicht mehr funktionieren.

Natürlich: Neutralitäts- und Balancerituale sind prima, ein wunderbarer Gedanke. Aber muss man nicht irgendwann anfangen, dem Idioten publizistischen Sauerstoff zu entziehen. Warum ihm, aus einer falsch entstandenen Idee von Balance heraus, Raum geben? Haltung, ganz gewiss, unbedingt geboten, im Umgang mit menschenverachtenden Äußerungen. Wer wollte da widersprechen. Aber lässt sich aus der Haltungsidee eine journalistische Großidee, ein Großkonzept schnitzen? Natürlich wunderbar, ich kann das sehr genießen die Meinungsikonen im Digitalen zu lesen und mich zu erfreuen, wie schnell man Urteile findet, mit welcher ungeheuren Selbstsicherheit und sofort Gewissheit. Aber ist die Dominanz des Meinens, die Dominanz des bloßen Behauptens nicht einfach nur, im Letzten gesellschaftspolitisch gesprochen, ein weiterer Beitrag zur Polarisierung der Verhältnisse?

Meine Damen und Herren, der Journalismus hat die Anzeichen der Finanzkrise verpasst. Er hat sich so lange über Donald Trump lustig gemacht, bis er Präsident war. Er hat die neue Konfliktlinie im Politischen zwischen den Generationen, zwischen Politik und Wissenschaft in Teilen des Journalismus in puncto Klimawandel so lange übersehen, bis ein kleines Mädchen aus Schweden auf unüberhörbare und unübersehbare Weise auf all dies aufmerksam gemacht hat. Was bedeutet, im Ernst gefragt, dieser Befund verpasster Großereignisse, von denen ich hier nur zwei, drei genannt habe. Er bedeutet aus meiner Sicht, dass darin eine große, für mich ungelöste, Frage liegt. Wie kann man in diesen Zeiten den Wirklichkeitssinn schärfen, berührbarer werden, anders aufklären, andere Formen von Aufklärung finden und erfinden?

Die Preisträger, um deren Werk es jetzt gleich gehen wird, haben genau das gemacht und geschafft, haben das alte Aufklärungsideal unter neuen Bedingungen in neuen Foren zum leuchten gebracht. Aber ich selbst habe, wenn ich mich nach der grundsätzlichen Antwort frage: wie kann man in Zeiten der Handlungsdringlichkeit, in Zeiten des Populismus, in Zeiten der systematischen Desinformation, das Prinzip Aufklärung retten? Ich selbst muss mir sagen: ich habe keine pauschale oder grundsätzliche, grundlegende Antwort, die ich Ihnen präsentieren könnte. Ich weiß, diejenigen, die eine Gnosikratie wollen, die alte Idee des Philosophenkönigs wieder ausbuddeln, die sind mir herzlich unsympathisch. Ich weiß, diejenigen, die eine Art Anti-Alarmismus- oder eine Alarmismus-Ideologie, das ist mehr oder weniger äquivalent, präsentieren und ein pillepalle Provokationsspiel daraus machen, die sind mir herzhaft unsympathisch. Aber die Antwort?

Ich hab eigentlich nur – und damit komme ich auch schon zum Schluss – eine Frage. Was tun, ja. Aber wie kann man gegen Desinformationen und Hass und Hetze das Verschwinden von Respekt und Rationalität kämpfend vorgehen? Wie kann man all dies tun - unbedingt geboten - und gleichzeitig die Ideale von Mündigkeit und Kommunikationsfreiheit bewahren? Ideale, die einer Demokratie überhaupt erst ihre Würde geben. Beides zusammen: gegen Desinformation kämpfen, die Ideale von Kommunikationsfreiheit und -mündigkeit bewahren. Darauf kommt es aus meiner Sicht entscheidend an.

Meine Damen und Herren, damit bin ich am Schluss. Ich hoffe, Sie sehen mir, an einem so wunderbaren Abend aus Anlass dieser Feier, die leichte Schwermut dieser Rede nach. Ich wünsche Ihnen, ich wünsche uns allen viel Glück bei der Antwortsuche und wünsche uns noch einen wunderbaren Abend. Haben Sie herzlichen Dank fürs Zuhören. Vielen Dank!"