Paul Schwenn
"Ich hab mal gelesen, dass Menschen, die immer schon wussten, was sie werden wollen, ein Problem haben: Sie werden das, was sie immer schon werden wollten. Ich bin dieser Typ.
Als ich noch nicht wusste, wie man als Journalist recherchiert, habe ich meine Meinung aufgeschrieben. Wie ich das neue Album von Farid Bang finde. Oder dass es peinlich ist, sich bei Facebook über Rechtschreibfehler von Nazis lustig machen. Als wäre das oder dass das Problem.
Als ich gemerkt habe, dass es im Internet ganz viel Rückmeldung gibt, wollte ich mehr. Und bin bei VICE gelandet. Die brauchten knallige Ich-Reportagen, aber selbstverständlich mit einer tieferen Bedeutungsebene.
Also bin ich mit geklauten Mario Barth-Gags bei Poetry Slams aufgetreten. Damit wollte ich zeigen, dass die RTL Comedy Nacht und dichtende Drittsemestler nur ein Schlauchschal trennt. Ich habe meiner Mutter aus Michel Houellebecq vorgelesen. Als Icebreaker, um über Sex zu reden. Ich hab mit Fotos des jungen Josef Stalin getindert. Bestimmt hatte ich auch dafür eine gute Begründung.
Irgendwann hat eine Freundin zu mir gesagt: Ich dachte, du wolltest Journalist werden. Das tat weh. Ich habe angefangen, Dinge über meine Umwelt herauszufinden, anstatt um mich selbst zu kreisen: über Kollegahs Coaching-Sekte, Security-Firmen in Brandenburg oder IS-Mitgliedern in Nordsyrien. Vieles habe ich auch nicht herausgefunden. Aber was ich für die Zukunft will, das weiß ich:
Dem nachgehen, was mir ungerecht, unanständig oder unglaubhaft vorkommt. Missstände sichtbar machen, ohne Entlastendes oder Widersprüchliches auszublenden. Mutig sein, Fehler zugeben, Spaß haben. Wenn ich das schaffe, wäre es gar nicht so schlimm, genau das geworden zu sein, was ich immer schon werden wollte."