Mut und Haltung zeigen

Kristina Dunz
[Foto: Annika Fußwinkel / WDR]

Rede von Kristina Dunz anläßlich der Verleihung des Hanns-Joachim-Friedrichs-Preises für Fernsehjournalismus am 12. Oktober 2017 in den Studios des WDR in Köln.
Kristina Dunz war im März 2017 als dpa-Korrespondentin im Begleittross von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Washington. In einer Pressekonferenz ging sie den US-Präsidenten wegen der von ihm in Umlauf gebrachten Fake-News direkt an, was diesen zunächst sprachlos machte. Sie wurde dafür von US-Medien gelobt.

"Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Preisträger!

Wir müssen reden

Die russische Journalistin Anna Politkowskaja hatte Mut, als sie über Menschenrechtsverletzungen im Tschetschenien-Krieg berichtete. 2006 wurde sie erschossen. Der saudische Blogger Raif Badawi hatte Mut, als er in seinem Land einen liberalen Staat und Religionsfreiheit forderte. Seit fünf Jahren sitzt er im Gefängnis und wird gefoltert. Der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel hatte Mut, als er die Position von Präsident Erdogan hinterfragte, für den Putschversuch in der Türkei 2016 sei die Gülen-Bewegung verantwortlich. Seit Februar sitzt er in Untersuchungshaft.

US-Präsident Donald Trump zu fragen, warum er solche Angst vor Pressevielfalt hat und Medien der fake news bezichtigt während er selbst welche produziert, ist vielleicht tough, aber nicht mutig. Denn es bestand keine Gefahr für die Fragestellerin aus der deutschen Begleitpresse der Bundeskanzlerin, dass sie am Abend nicht wieder mit ihr im Regierungsflieger nach Deutschland sitzen würde.

Und doch spricht diese Pressekonferenz Bände. Ich habe etwa 200 Briefe bekommen. Aus Houston, New York, Washington, Seattle, Los Angeles, von Pfarrern, Ärzten , Lehrern, Rentnern – größtenteils übrigens Frauen. Einhelliger Tenor: Danke für diese direkte Frage. Die US-Presse habe dazu keinen Mut mehr.

Das ist schmeichelhaft. In dieser Verallgemeinerung aber natürlich falsch. Es sind nicht amerikanische Journalisten, die keine Fragen mehr wagen. Es ist der amerikanische Präsident, der sie nicht mehr fragen lässt. Trump sind Pressekonferenzen nämlich schnuppe. Journalisten, von denen er Ungemach erwartet, weil sie ihren Auftrag der kritischen Berichterstattung erfüllen, nimmt er einfach nicht dran. Dass Merkel die Fragesteller nicht aussucht, sondern diese selbst bestimmen, wer aus ihrem Kreis ans Mikro tritt, musste man Trump nachher erst noch erklären. Ihm ist das völlig suspekt.   

Er twittert lieber. Damit erreicht er in der nächsten Sekunde völlig ungefiltert seine rund 40 Millionen Follower, die das wiederum Millionen von Followern weiterleiten. Er wütet gegen Medien, hetzt gegen Obamacare,  droht Nordkorea mit Krieg. Morgens, mittags, abends, nachts. Seine Tweets verbreiten sich über die ganze Welt erst einmal so ganz ohne Journalismus und ohne Einordnung. Man weiß nicht, wie ernst er etwas meint, ob er das Thema verstanden hat oder nur zündeln will. Aber damit beschäftigt er Journalisten rund um die Uhr und hält sie von anderen wichtigen Themen ab. Trump benutzt das Netz als fünfte Gewalt, die neben der uns vertrauten vierten Gewalt selbst zu einer publizistischen Macht geworden ist. Das ist schon etwas Besonderes mit ihm. Etwas besonders Unheilvolles. Gerade droht er mit der Einschränkung der Pressefreiheit durch Lizenzentzug. Unfassbar.

Aus den Briefen aus den USA möchte ich Ihnen noch dies kurz vorlesen:

Aus Los Angeles: “Thank you for helping us fight this monster.”
Aus Seattle: „Please know that half of the US does not support this boy and ask your country not to give up on us.”
Aus Christiansburg: „Dankeschön. Wir sind gluklisch und mein Deutsch is schreklisch.“

In den USA hoffen also Bürger auf Deutschland und seine Presse- und Meinungsfreiheit. Was für eine Ehre. Und was machen wir daraus?

Trump verunglimpfte als Präsidentschaftskandidat politische Korrektheit. Und viele Wähler fanden das toll. In Deutschland kündigte die AfD im Wahlkampf an, sie werde die politische Korrektheit auf den Müllhaufen der Geschichte werfen, und kam zweistellig in den Bundestag. Uns Journalisten wird nun vorgeworfen, wir hätten der AfD zu viel Beachtung geschenkt und sie damit erst groß gemacht. Das ist ein bisschen zu einfach. Die in Teilen rassistische AfD hat so großen Zulauf bekommen, weil sich viele Wähler abgehängt und unverstanden fühlen, und es in Teilen auch sind, und es denen da oben, mal so richtig zeigen wollten. Hat ja auch geklappt.

Was hätten wir tun sollen? Schweigen, wenn da jemand von entsorgen und jagen spricht - und damit nicht Müll oder Wildschweine meint, sondern in dem einen Fall die Staatsministerin für Integration und in dem anderen die Bundeskanzlerin? Da wäre was los gewesen. Und zwar zu recht.  

Wer, wenn nicht wir, muss aufdecken, dass Tabus gebrochen werden, die Sprache verroht und die Stimmung vergiftet wird. Wir müssen dabei sauber trennen zwischen Nachricht und Kommentar, wir müssen wiedergeben, was ist, und es analysieren. Wir müssen recherchieren, die Gegenseite hören, Parallelen aufzeigen, Signale deuten. So, wie wir es gelernt haben. Und so, dass Leser, Hörer, Zuschauer sich ein eigenes Bild machen können. Eine Binsenweisheit, dass sie nicht belehrt, sondern informiert werden wollen. Und zwar von informierten Journalisten, die nah dran sind und trotzdem Distanz wahren, sich nicht gemein machen. Weder mit der Sache noch mit der Person. Eben so wie es Hanns Joachim Friedrichs gesagt hat.

Ein schwieriges Unterfangen in einer Zeit, in der keine mehr Zeit ist. Wenn immer weniger Journalisten immer mehr machen müssen, weil das Geld in Redaktionen knapp und der Spardruck groß ist. Und dann Fehler unterlaufen, weil vieles zu viel und ein Journalist eben kein Roboter ist. In Zeiten von Twitter, Trump, Facebook, fake news, AfD und social bots müsste die Zahl der Redakteure eigentlich aufgestockt und dürften Redaktionen nicht weiter geschrumpft werden. Denn für viele brennende und brisante Themen bleibt oft keine Zeit mehr. Pressestellen können sich die Hände reiben.

Oft geht es doch nur noch darum: kurz und knackig rüberzukommen. Hauptsache Schlagzeile, Klicks und Quote. Ob Bürger damit gut informiert werden, sei dahin gestellt. Da gab es nie zuvor so eine Flut von Informationen und trotzdem wird man nicht schlauer.

Manchmal im Gegenteil, all das Halb- und Viertelwissen. Und dann die Rückzüge in Foren in diesem kostenlosen Internet,  wo irgendwer irgendwas erzählt, und weil alles so unübersichtlich geworden ist, das dann als wahr gilt, in Wirklichkeit aber gar nichts zu bedeuten hat. Währenddessen mühen sich die so beschimpften etablierten Medien ab und werden der Meinungsdiktatur beschuldigt. Und wir fragen staunend: Welche Meinung, welcher Diktator? Wissen die eigentlich, was sonst so in der Welt los ist? Ist nach der Politikverdrossenheit wirklich  Demokratieverdrossenheit eingezogen?

Im digitalen Zeitalter wird im Netz enthüllt und protestiert und eben auch gemobbt, gehetzt und gehasst. Aber wenn Wutbürger sich in ihre Echokammern zurückziehen und nicht mehr erreichbar sind für eine zivilisierte Auseinandersetzung, müssen wir zwei Dinge klären: Erstens: Wie gewinnen wir sie zurück und zweitens, wer von ihnen will das überhaupt noch?

Die Schreihälse, die im Osten Frau Merkel niedergebrüllt haben, benutzten tatsächlich Ohrenstöpsel. Wer später mit ihnen sprach, erlebte zum einen Rechtsextremisten, aber zum anderen verstörte Menschen, die sich erst von der DDR und nun von der Bundesrepublik übersehen fühlen -  und beides gleichsetzen. Ein Drama.

Was ist schief gelaufen?

Das vielleicht nachvollziehbarste  Beispiel: Viele von uns, ich gehöre auch dazu,  haben 2015 vor lauter Begeisterung über eine nicht für möglich gehaltene Willkommenskultur in Deutschland mehr die Bilder von geflohenen Frauen und Kindern gesehen und nicht zugleich das Verhältnis zu der viel größeren Zahl der männlichen Flüchtlinge dargestellt und die daraus folgenden Anforderungen und Probleme erkannt. Wir haben jene Menschen zunächst nicht gehört, die sich vor einer fremden Religion oder auch vor dem Verlust des Wenigen ängstigen, das sie sich erarbeitet haben. Wir haben uns zu lange zu wenig Mühe gemacht, auch das zu zeigen. Wer, wenn nicht wir, hätte die Möglichkeit gehabt, darüber zu berichten.

Wissen wir eigentlich wie es ist, wenn zehn Euro fehlen und das zur Verzweiflung führt, weil es einfach keine andere Quelle für den nächsten Einkauf gibt?   

Nun müssen wir erst einmal aushalten, was wir anderen täglich abverlangen:  Kritik. Wir müssen klären: Leben wir in einer Blase? Haben wir noch die nötige Bodenhaftung? Oder vermitteln wir diesen Eindruck: Journalisten und Politiker – sind doch alle gleich. Ist es nicht ein Zeichen, dass zwei große politische Themen in diesem Wahlkampf-Sommer von Zuschauern bei Medien-Veranstaltungen mit der Kanzlerin aufgebracht wurden? Die Ehe für alle und die gravierenden Missstände in der Altenpflege.

Wir müssen mehr zuhören und Kontakt halten. Manchmal sind es die ganz kleinen Dinge. Leser beschweren sich Redakteuren über die Berichterstattung. Das ist eine Chance. Denn da ist jemand, der noch spricht - bekommt er oder sie einen Anruf, eine E-Mail oder einen Tweet, kann es einen Austausch geben. Wenn es gut läuft, gibt es ein Nachdenken. Auf beiden Seiten. Läuft es schlecht, kommt man nicht zusammen. Aber es wird Aufmerksamkeit geschaffen. Bei jenen, die nur laut Lügenpresse brüllen und gar nicht zwischen Nachricht und Kommentar unterscheiden – oder unterscheiden können, ist es schwieriger. Sie wollen uns einschüchtern und wund schießen.

Wir dürfen keinesfalls über zu viele Stöckchen springen oder miese Parolen endlos verbreiten. Denn Extremisten ziehen ihre Energie aus der Empörung der anderen. Und wir müssen die Proportion wahren. Eine 12,6- Prozent-Partei darf nicht totgeschwiegen werden, aber sie darf auch nicht das bestimmende Thema sein. Da sind noch 87 andere Prozent, die das Land  ausmachen.  

„Journalismus ist einfach ein schwieriger Beruf.“ Das schärfen schon die Journalistenschulen ihren Studenten ein. Oft muss in Windeseile produziert werden und zwar ohne Äh und Oh und natürlich, das ist das Wichtigste, möglichst ohne Fehler. Denn das ist unser Kapital: die Glaubwürdigkeit. Und wenn Fehler passieren, müssen sie berichtigt werden. Ganz einfach.

Grundsätzlich gilt, dass Berichte nur so gut sein können, wie ihre Autoren sattelfest in den Themen sind. Wer Lügen und Tricksereien, gleich von welcher Seite, nicht erkennt, weil zu viele Dinge gleichzeitig gedacht werden müssen oder das Wissen einfach nicht vorhanden ist, trägt zur Irreführung und Verdummung der Bürger bei. Ganz besonders sind da die Entscheider gefordert. Die Chefredakteurinnen und Chefredakteure, die Chefinnen und Chefs. Sie  müssen standfest und prinzipientreu sein, ihre Leute gut ausstatten und ausbilden, ihnen mutig den Rücken stärken und ihnen Zeit zum Denken verschaffen. Sie sollten Vorbilder für einen unerschrockenen und politisch unabhängigen Journalismus sein. Und wir alle müssen auch eine Haltung haben - und Haltung zeigen. Selbst das wird ja inzwischen schon kritisch gesehen. Und, ja, wir müssen Mut haben. Vor allem, weil uns im Gegensatz zu Politkowskaja, Badawi und Yücel in diesem Land dafür keine Folter, kein Gefängnis und keine Ermordung droht.
 
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit."