Katja Gloger - Laudatorin 2017

Katja Gloger
Katja Gloger
[Foto: Annika Fußwinkel / WDR]

Katja Gloger war langjährige Korrespondentin des Stern in Moskau und Washington, Stern-Autorin und Vorstandssprecherin von Reporter ohne Grenzen.

 

"Auslandskorrespondenten, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind eine besondere Spezies unter uns Journalisten; ich darf dies sagen, ich war selbst mal eine. Sie bedürfen besonderer Aufmerksamkeit - unter anderem durch die möglichst regelmäßige Vergabe von Auszeichnungen.

In ihren Heimatredaktionen werden Auslandskorrespondenten gemeinhin als interessante Mischung aus Superman - zunehmend auch Superwoman - und quengeligem Nerd betrachtet, in der Regel gelten sie als eher schwierig, Querköpfe eben. Weil sie immer etwas wollen. Sendezeit und Aufmerksamkeit für ihre Geschichten - weil sie ja so viel mehr wissen und berichten wollen über die widersprüchlichen Realitäten in ihren oft kontinentgroßen Berichtsgebieten, als Sendezeiten - und ihre Planer - verkraften können.

Dabei beherrschen sie die hohe Kunst, ihren Zuschauern Ursprung und Wesen des iranischen Atomprogramms sowie seiner Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen den USA und Russland unter besonderer Berücksichtigung des Syrienkrieges und der EU-Außenpolitik in einer Minute und dreißig Sekunden zu erklären.

Sie verstehen die Welt für uns.

Zum Schicksal eines Auslandskorrespondenten gehört es auch,einen der größeren Widersprüche unserer Zunft und unserer Zeit auszuhalten. Sie werden dringend gebraucht und sollen sich doch am besten irgendwie überflüssig machen. Weil uns die komplexe Welt ja immer schneller zu Leibe rückt, wächst einerseits das Bedürfnis nach zuverlässigen Fakten und Informationen, nach Einordnung und Hintergrund - doch die Möglichkeiten und Räume, sich das Vertrauen des Publikums zu erarbeiten und zu erhalten, sie schrumpfen kontinuierlich.

Redaktionen müssen sparen, auch an Personal, Reisen sind teuer, Google ist ja auch irgendwie … die Welt - und wer weiß schon, wie viele clicks etwa eine Langzeitreportage über ein syrisches Flüchtlingsschicksal generiert, ob die nicht doch rasch im „Chartbeat“ nach unten fällt, jenem „content intelligence“- Programm für Redaktionen, das unter anderem verspricht: Data your way.

Zur eher bitteren Wahrheit gehört allerdings wohl auch: Vielleicht verstehen mehr und mehr Kollegen unseren Beruf zunehmend als Schreibtischjob. Es scheint zumindest so: Immer mehr bleiben drinnen, immer weniger gehen hinaus.

Unsere drei Preisträger würden ihren Schreibtisch allerdings wohl als einen eher gefährlicheren Ort für einen Journalisten betrachten - und das ist ein Glück für uns.Sie beherzigen jene Grundregeln, die man auch die Hanns-Joachim-Friedrichs-Tugenden nennen könnte:

  • Sie versinken nicht in Betroffenheit, schon gar nicht in öffentlich dargestellter Betroffenheit
  • Sie sind leise im Ton - denn sie haben etwas zu sagen
  • Sie bleiben cool, ohne kalt zu sein
  • Graue Haare helfen durchaus
  • Und sie geben stets ihr Bestmögliches

Da ist Hans-Ulrich Gack - der Mann, der, wie es heißt, schon immer mit allen auf dem Lerchenberg telefoniert und Rat eingeholt hat - und dann doch macht, was er für richtig hält. Einer, der dort sein muss, wo der Preis von Konflikt und Krieg erfahrbar wird. Er gibt den Betroffenen Stimme und Gesicht. Er kommt ihnen nah, ohne sich anzubiedern oder sie gar als Kulisse für Egotrips zu missbrauchen. Hans-Ulrich Gack will die Welt verstehen, um sie mithilfe seiner Geschichten zu verbessern - obwohl das natürlich eigentlich unmöglich ist.

Da ist Frederik Pleitgen, dem als Senior International Correspondent bei CNN auch das große Verdienst gebührt, deutsche Themen und Realitäten in den USA bekannter zu machen. Ansonsten ist er überall, wo es nötig ist. Und er weiß, was wichtig werden wird. Schnell und präzise, ein echter Nachrichtenmann. Obwohl er ständig auf Sendung ist, kann er mit „Ich-Journalismus“ wenig anfangen, jener propagierten Subjektivität, die manchmal nur Ausrede für Oberflächlichkeiten ist. Frederik Pleitgen ist vielmehr ein „Einordner“ - cool, aber nicht kühl.

Und da ist Luc Walpot, der Mann, der uns aus Istanbul über fünf Jahre die Türkei erklärt hat, stoisch fast, manchmal schien er mir wie festgewachsen am Platz seiner Aufsager, den Bosporus und die meist nächtlich glitzernde Brücke über denselben im Hintergrund. Je dramatischer die Lage - desto ruhiger, versammelter scheint er. Seine Berichte und Analysen lassen uns verstehen, wie es passieren kann, dass sich ein autoritärer Präsident ein ganzes Land untertan macht. Wie schnell das geschehen kann, wie rasch Presse- und Meinungsfreiheit verloren gehen.

Mit ihrer Arbeit verweigern sich die drei Preisträger dem, was Walpot einmal als „Verführung durch die Flut der radikalen Informationen“ beschrieben hat. Die sich überschlagenden Updates über alle Kanäle, all’ die immer schärfer zugespitzten Überschriften und Thesen, die oft doch nur die Illusion vermitteln, etwas zu erfahren.

Sie aber treten den Schritt zurück. Zwar müssen sie eigentlich auf alles eine Antwort haben, doch sie trauen sich, zu sagen: „Das weiß ich - noch - nicht.“

Sie wollen es besser wissen, nicht unbedingt schneller. Sie vertrauen der Urteilskraft ihrer Zuschauer.

Ihr Bemühen um stete Versachlichung ist vorbildlich.

Die Menschen vertrauen Medien nicht mehr, heißt es, weil die Medien das schmutzige Geschäft der Eliten erledigen, von „da oben“ auf die „da unten“ herabsehen. Dieses Urteil mag in seiner Schärfe ungerecht sein, aber wir haben allen Anlass zur Selbstkritik; auch wenn wir als Journalisten eher zu denen gehören, die immer recht haben - und beleidigt sind, wenn wir einmal so kritisiert werden, wie wir nur allzu oft die Objekte, ja, die Objekte, unserer journalistischen Begierden kritisieren. Es gilt wohl für uns alle, für Medien, Politik und Öffentlichkeit: Wir müssen abrüsten, und das beginnt bei Ton und Thesen. Stete Versachlichung hilft.

Mir fallen einige wunderbare journalistische Tugenden ein, wenn ich an die Arbeit der drei Kollegen denke –menschliche und journalistische Tugenden, in es geduldig zu investieren gilt. Sie scheinen altmodisch, doch sie sind hochmodern: Kompetenz und Erfahrung. Empathie und Verlässlichkeit. Redlichkeit und Glaubwürdigkeit.

Um noch einmal Hanns Joachim Friedrichs zu zitieren: Sie zeigen uns die „Seele der Welt, in welcher Form auch immer.“

Mit ihnen ist mir um die Zukunft unseres Berufes nicht allzu bang."