Sage & Schreibe
Sage & Schreibe - München, 01.11.1998
Unverschämt neugierig
Erstmals hat die Jury des Hanns-Joachim-Friedrichs-Preises einen Förderpreis vergeben: An Carla Kniestedt, 38, vom Ostdeutschen Rundfunk Brandenburg
Von Armin Sellheim
Nach der Wende hat sich Carla Kniestedt gefragt, »wat mach ick denn jetzt?« - und wurde Pressesprecherin vorn »Warenhaus am Alex«. »Wat mach ick denn jetz?« kommt öfter vor, wenn sie aus ihrem Leben erzählt. Gemacht hat sie 'ne ganze Menge - vor und nach der Wende.
Sie ist in Leipzig geboren, aber schon als Kind mit den Eltern nach Berlin gezogen. Dort machte sie ihr Abitur und ging nach Leipzig, um am »roten Kloster« Journalistik zu studieren. Zurück in Berlin wurde sie Redakteurin beim Neuen Deutschland »Ich bin da nicht gut zurecht gekommen«, sagt sie. Inzwischen hatte sie geheiratet und in sechs Jahren drei Kinder bekommen. Die älteste Tochter, 1981 geboren, lernt Schäferin. »Es war gut, daß ich so oft im Mutterschutzurlaub war, das machte die Zeit beim Zentralorgan erträglich.« Trotzdem verhandelte sie über einen Auflösungsvertrag, der auch 1988 gewährt wurde.
Seitdem arbeitet sie frei, und zwar aus Überzeugung: »Schon der Kinder wegen, aber ich wie auch meine Unabhängigkeit behalten.« Die letzten DDR-Jahre jobbte sie bei Buchverlagen, für die sie Korrektur las- »die Luther-Bibel zum Beispiel«, sagt sie. »Und nebenbei habe ich nachts in der Kaufhalle Regale aufgepackt.« Jetzt lebt sie von ihrem Mann getrennt und muß sehen, wie sie Beruf und Kinde- in Einklang bringt
Die Zeit im »Warenhaus an: Alex« fand sie sehr spannend und wollte gar nicht mehr in den Journalismus zurück. Am Potsdam-Kolleg ließ sie sich zur geprüften PR-Beraterin umschulen. In dieser Zeit gondelte Carla Kniestedt mit Bussen durchs Land Brandenburg, »um den Leuten die neue Verfassung zu er klären.« Eine Mitgondelnde holte sie 1992 zum MDR. Mit hörbarem Vergnügen nennt sie den Titel ihrer ersten anderthalbstündigen Fernseh-Talkshow dort: »Unter deutschen Bettdecken - Das Sexuelle nach der deutsch-deutschen Vereinigung«.
Für den zur ARD gehörenden Ostdeutschen Rundfunk Brandenburg in Potsdam moderiert sie seit 1994 die wöchentliche Fernsehsendung Zeit läuft Eigene Reportagen und Berichte kommen hinzu - so ihre Beiträge über das Hochwasser 1997 In Frankfurt an der Oder. Ihre am Schicksal der Menschen orientierte, fundierte Berichterstattung ist der Jury des Hanns-Joachim-Friedrichs-Preises aufgefallen; dafür bekam Carla Kniestedt den mit 3.000 Mark dotierten Förderpreis. der zum ersten Mal vergeben wurde.
Die Jury, das sind fünfzehn Freunde und Weggefährten des 1995 gestorbenen Fernsehjournalisten: Frauen und Männer aus den Medienberufen, Journalisten und Schauspieler, Intendanten und Produzenten. Sie sind Initiatoren und Juroren zugleich. Eine Ausschreibung gibt es nicht, und das Preisgeld zahlen sie aus eigener Tasche. Ganz im Sinne von Hanns-Joachim Friedrichs gehen die Preise stets an Fernsehjournalisten, die gezeigt haben, daß sie kreativ, kritisch und unabhängig sind.
Das Ist Carla Kniestedt gewiß auch. Bei der Preisverleihung outete sie sich im Gespräch mit Jury-Mitglied Ulrich Wickert als »unverschämt neugierig«. Sie möchte ehrlich sein, »niemand was vormachen, sondern auf anständige Weise Geld verdienen.« Und »die Argumentation, daß alles Immer ausgewogen und objektiv sein muß, halte ich für ziemlich falsch. Das ist nicht richtig, das ist oft geheuchelt.« Über Kollegen, die Im Hotel in Frankfurt meckerten, weil die Sauna nicht funktionierte, kann sie sich mächtig ärgern.
Den Entschluß, nichts mehr mit Journalismus zu tun haben zu wollen, hat sie längst revidiert »Der Journalismus ist zwar eine Hure, aber eine ehrliche.« So grenzt sie ab zur früheren PR-Tätigkeit. »Er hat für mich etwas Faszinierendes«, sagt sie, besonders, wenn es um so aufregende Themen geht wie das Hochwasser der Oder. Da ist sie hin und her geeilt - Reportage vor Ort und Moderation im Studio und »zwischendrin mußte ick ooch noch Hefte koofen für die Kinder,«
Jungen Journalisten rät sie, den Beruf ernsthaft anzugehen, mit dem Schnell-mal-was-schreiben sei es nicht getan. »Man muß sich ständig den Kollegen und der Öffentlichkeit stellen. Vor allem aber muß man die Menschen lieben können.« Und um sich durchzusetzen, »braucht man auch hin und wieder eine große Klappe,« Als Wahl-Berlinerin fällt ihr das nicht schwer.
Carla Kniestedt äußert sich nicht über Zukunftspläne. Klar, sie möchte mehr Zeit fürs Lesen und Reisen und für Freunde haben. Obwohl sie nahezu ausschließlich für den ORB arbeitet, vermeidet sie den Ausdruck »feste« für ihre freie Tätigkeit. Gut möglich, daß sie sich irgendwann wieder fragt, »wat mach ick denn jetzt?