Rheinischer Merkur

Rheinischer Merkur - Bonn, 20.10.2000

Maybrit Illner - Am 24. Oktober erhält sie den Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis. Eine Momentaufnahme

Die Bildungsreisende

Jede Woche talkt sie in „Berlin Mitte" mitten aus dem politischen Leben. Die Show trägt zwar nicht ihren Namen, dafür aber ihren Stempel

Von Jürgen Bräunlein

Die Kameras sind längst in Position gebracht, der Teleprompter zeigt die Anmoderation. Flink pudert die Maskenbildnerin das Gesicht von Horst Seehofer. Auch an Maybrit Illner wird noch herumgetupft, während sie sich warmspricht: „Herr Riester, kennen Sie einen guten Witz?" Und der jungen Bau-Unternehmerin aus der Pfalz zugewandt: „Frau Sturm, bitte etwas mehr Stimme!" Für alle Anwesenden im ZDF-Hauptstadtstudio Unter den Linden erzählt Maybrit Illner von einer Landpartie: „Neulich im Chiemgau sollte ein Kalb nach mir benannt werden, doch im letzten Moment konnte ich das verhindern." Ein Jammer, dass den Zuschauern zu Hause das vorenthalten wird. Erst zwei Minuten später geht man auf Sendung „Berlin Mitte".

Seit einem Jahr talkt Maybrit Illner schon für das ZDF, dem „Zentrum der Freude", wie die gebürtige Ostdeutsche kalauert. In die Redaktionsräume von „Berlin Mitte", schräg gegenüber der S-Bahn Friedrichstraße, kommt man erst über den versteckten Eingang neben einer Rampe. Im grauen Hosenanzug, rosafarbenen T-Shirt sitzt Maybrit Illner da, trinkt Kaffee aus einer Berlin-Mitte-Tasse, zeigt sich aufgeräumt und rollt immer wieder temperamentvoll das „R". „Berlin Mitte" hat sich leise einen sicheren Platz erobert.

Und mit der Sendung auch Maybrit Illner. Dabei wird weder im Titel noch im Vorspann mit seinen flotten Zeitraffer-Bildern dem Personenkult Nahrung gegeben. Eine Einschaltquote von durchschnittlich zwei Millionen, am Donnerstagabend nach 22 Uhr - damit war nicht zu rechnen. Anders als Sabine Christiansen, war die dunkelhaarige Illner vorher kein überall bekanntes Fernsehgesicht, sondern fast nur Frühaufstehern vertraut. Sieben Jahre moderierte sie das „ARD-Morgenmagazin". Den Wechsel von der Interviewerin zur Talkmasterin sieht sie nüchtern. Eine „permanente Bildungsreisende" nennt sie sich. Und zweifelt schon.

Hätte sie die junge Unternehmerin in der Sendung nicht etwas mehr aus der Reserve locken müssen? N-tv-Talkmasterin Sandra Maischberger schaltet zu Harald Schmidt um, wenn sie sich bei der Wiederholung ihrer Sendung nicht leiden mag; Illner schiebt die Aufzeichnung nur dann in den Videorekorder, wenn sie sich schlecht findet. Nicht okay ist zum Beispiel, wenn sie „im fünften Gang spricht". Nicht so toll auch, was sie da wieder mit den Händen treibt: „Für den rechten oder linken Zeigefinger muss ich noch etwas finden." Das tapfer gebändigte Ringen der Hände - mal locker gefaltet, mal zur Faust geballt - ist ihr Markenzeichen.

Charakteristisch wie die Freundlichkeit, mit der die Moderatorin Politikersuaden abwürgt. Mitunter verblüffend respektlos. „Wir müssen immer schön gucken, dass wir auch noch die Antworten abholen." Sagt sie diesmal zum schwitzenden Dauerredner Seehofer.

Maybrit Illner, der Fernsehkritiker Sachverstand und Witz attestieren, schafft es, fröhlich zu sein, ohne banal zu wirken. Wo es bei der sieben Jahre älteren Christiansen prätentiös zugeht und Moderatoren der alten Schule wie Klaus Bednarz („Monitor") in einen Oberlehrerstil verfallen, kommt „Berlin Mitte" mit flapsigem Understatement daher.

Der Polittalk, das zeigen die Einschaltquoten, hat die klassischen Politmagazine abgelöst. In den Plauderrunden werde nur die Illusion eines Gesprächs erzeugt, mäkeln Medienwissenschaftler. Vor allem Sabine Christiansen wird gern abgestraft, zuletzt gar als „Propagandistin der Zugewandtheit" (Gerhard Bliersbach). Illner wappnet sich sanft ironisch gegen den Vorwurf, substanzlos zu sein. Ihr Finalwort „Viel Spaß beim Vermehren der gewonnenen Einsichten!" ist schon sprichwörtlich. Das unterscheidet sie vielleicht am deutlichsten von ihren Kollegen: Bei Illner wird zwar über Polit getalkt, aber „ohne Umgehung von Humor", wie sie selbst sagt.

Das Thema der Woche in Eins-a-Besetzung vorstellen, das will man bei Christiansen auch. Und die hat in diesem Punkt die besseren Karten. Gerhard Schröder oder Oskar Lafontaine gehen dorthin, wo die höchste Einschaltquote winkt.

Bei „Berlin Mitte" versucht man aus dieser Not eine Tugend zu machen. Neben den Politikern gibt es immer einen Überraschungsgast, der nicht mal prominent sein muss. Zwei bis drei Themen werden von Freitag an parallel vorbereitet. Mittwochmittag muss eine Entscheidung fallen. Doch schon am Dienstag tüftelt Redakteurin Anna Ernst, die vorher Erich Böhme unterstützte, den Fahrplan der Sendung aus. Vier Gäste, zwei kontroverse Linien - das sei die Marschrichtung. Am Donnerstag hat Illner einen Tag Zeit, die Moderation vorzubereiten. Kein Vergleich mit der Arbeit für das Morgenmagazin, sagt sie.

Während des Gesprächs bringt man ihr ein Handy. Mit Iris Berben, die in die Sendung zum Thema Rechtsradikalismus kommen soll, wird es wohl nichts. Unschön. „Lohnt es sich, noch mal zurückzurufen?", fragt Illner die Redakteurin.

Auf die Frage, wem sie niemals in der Sauna begegnen wolle, antwortet Maybrit Illner: „Den Fischerchören." In einem dieser Fragebögen, die sie nun öfters ausfüllen darf. Das war zwar ein Scherz, aber per Fax meldete sich ein entsetzter Gotthilf Fischer. Mit einer Minikomposition und dem Text: „Was unterscheidet die Fischerchöre von Maybrit Illner? Antwort: Wir lieben Sie!"

Und sie liebt Dauerwerbesendungen. „Priscilla Presleys Haarteilpräsentation." Ernsthaft. Zumindest „um halb drei morgens kurz vorm Einschlafen".

Früher haben Journalisten sie immer wieder auf ihre SED-Mitgliedschaft angesprochen. Das war, vor allem für West-Journalisten, das Haar in der Suppe. Ost-West? „Da stehen die Fahrstühle noch nicht in derselben Etage", meint sie, hofft aber, vom ZDF nicht wegen der drei Quotenkriterien angeheuert worden zu sein: „Frau, unter 50 und aus dem Osten: Schlimmer geht's nimmer!" Ihre persönliche Wende erlebte die gelernte Journalistin vor der Kamera, 1990 durfte sie, noch beim DFF, in die westliche Meinungsfreiheit durchstarten. Zunächst als Redakteurin der Auslandsredaktion, dann als Moderatorin eines Reisemagazins, schließlich beim Abendjournal. „Eine Zeit ohne jedes Gesetz", wie sie heute sagt.

Am 24. Oktober bekommt Maybrit Illner zusammen mit Gabi Bauer und Sandra Maischberger den Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis für Fernsehjournalismus. Sie freut sich. Und sieht es relativ. „Ich nehme mich nicht so furchtbar wichtig." Klingt kokett. Aber glaubhaft. „Mir fiele auch was ein, wenn ich nicht Fernsehen machen würde. In Neufundland Schiffsmeldungen schreiben. Oder Salongespräche führen."

Etwas hat sie so beschäftigt, dass sie abends noch mal anruft. Worin sich Sportler und Politiker unterscheiden, hieß die Frage an die ehemalige Sportreporterin. Sie sieht Ähnlichkeiten: Beide steigen in den Ring, lieben das Duell. Sie redet weiter: über Günther Jauch, das Geheimnis von Medienpräsenz und Henry Maske, der nun statt Berben in die Sendung kommt. Unverkrampft und charmant plaudert Maybrit Illner. Im Fernsehen ist das Gold wert. Im Leben auch.

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