Pressemitteilung 2022

2022, in seinem 26. Jahr, geht der Hanns-Joachim Friedrichspreis für Fernsehjournalismus an den SPIEGEL-Reporter Christoph Reuter für seine herausragenden Leistungen in der Berichterstattung über den Angriff der Russischen Föderation auf die Ukraine und zu gleichen Teilen an die Redaktion und Reporter*innen von OstWest, Berlin für ihren mutigen Einsatz für die Information einer russischsprachigen Öffentlichkeit, die ihr Bild von den Ereignissen fast nur noch aus staatlich kontrollierten Medien beziehen kann.

Der Sonderpreis 2022 geht an die Redaktion der Nachrichtensendung „logo!“ im Sender „KiKa“ (Kinderkanal), besonders für ihre so achtsame wie ehrliche Berichterstattung über den Ukraine-Konflikt in einer Sendung für Kinder.

 

Aus der Jury

Es waren wieder zahlreiche Leistungen und Nennungen aus allen Feldern des Fernseh-Journalismus zu bedenken, zu beraten und zu würdigen. Trotzdem fand die Jury des HJF-Preises schnell Konsens in der Überzeugung, dass im Jahr der „Zeitenwende“ die Berichterstattung über den Krieg in der Ukraine im Zentrum stehen muss.

Der Angriffskrieg einer Großmacht auf ein Land in Europa stellte Sender, Redaktionen und Reporter*innen vor Herausforderungen, die die heutige Generation so noch nicht erlebt hat.

Zudem hat sich das mediale Umfeld verändert. Ein mittlerweile erheblicher Teil der Öffentlichkeit misst bei Ereignissen von solch globaler Bedeutung vertraute Quellen an ausländischer, bspw. angelsächsischer Konkurrenz, die vergleichbare Vorstellungen von journalistischer Arbeit hat, in der Ausführung aber ihre eigenen professionellen Maßstäbe setzt.

Solche Veränderungen und Konsequenzen daraus haben in den Diskussionen der Jury – neben den herausragenden Leistungen der schlussendlichen Preisträger*innen - eine große Rolle gespielt.

Die HJF-Preisverleihung hat sich in den letzten Jahren zu einem Forum entwickelt, auf dem die Branche akute Fragen des TV-Journalismus verhandelt:

2021: „Aktualität auf den Grund gehen“ (Katrin Eigendorf, ZDF / Carl Gierstorfer, RBB)
2020: „Unabhängigkeit“ (Emily Maitlis, BBC / Ulf Roeller ZDF)
2019: „Faktentreue“ (Mai Thi Nguyen Kim, WDR / Harald Lesch, ZDF).
2022 wird das Thema „Krisenberichterstattung“ eine neue Gelegenheit bieten.

Der Preis wird am 10. November 2022 im Rahmen einer Veranstaltung des Vereins beim NDR in Hamburg offiziell verliehen.

Der Hauptpreis ist insgesamt mit 5.000 € dotiert und wird entsprechend aufgeteilt. Der Sonderpreis ist mit 2.500 € dotiert.

Zudem verleiht der Verein ein von SPIEGEL TV und WDR gestiftetes Förderstipendium, das aus redaktioneller Betreuung (mentoring) eines Filmprojektes und einem Produktions-Zuschuss i.H.v. 5.000 € besteht.

Die Entscheidung über dieses Förderstipendium steht noch aus.

 

Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis 2022 an den SPIEGEL-Reporter Christoph Reuter

Christoph Reuters beruflicher Weg entspricht nicht der klassischen Laufbahn eines Fernsehjournalisten. Er hatte sich bei „Stern“ und „Spiegel“ schon lange hohes Ansehen als Berichterstatter und Erklärer von Konflikten (verkürzt: Krisenreporter) verdient, als er begann, seine Geschichten aus Syrien, Afghanistan, Beirut, etc. mehr und mehr auch mit bewegten Bildern zu erzählen.

Die Art, in der Christoph Reuter nun Print und Podcasts, online-videos und TV-Dokumentationen, TV-Interviews und Auftritte als Talkshow-Gast in seiner Arbeit verbindet, ist als Antwort in einer multimedial verschmelzenden Kommunikationswelt zu sehen und wegweisend.

In der aktuellen Ukraine-Berichterstattung wurden Reuters Beiträge auf allen Kanälen essenziell für Deutschlands Bild vom Krieg. Sie wirken prägend, weil sie von Anfang an von höchster Glaubwürdigkeit waren.

Gerade dann, wenn bei Kriegsberichterstattung Heimatredaktionen wohlfeil die Binsenwahrheit vom frühen Tod der Wahrheit wiederholen, macht es einen Unterschied, ob Reporter Tage später den Tatort eines Kriegsverbrechens besichtigen oder ob einer wie Reuter an Ort und Stelle über längere Zeit beobachtet hat, wie sich Frustration, Angst und Hunger einer russischen Einheit in brutale Aggression gegenüber der Zivilbevölkerung wandelten.

Es ist leicht, aufgrund von Agentur-Meldungen einen Kommentar zu verfassen, der Russland des „Vernichtungskrieges“ anklagt. Es ist etwas grundlegend anderes, wenn der Kommentator beim Splitterbomben-Angriff auf den Bahnhof von Kramatorsk dabei war und die mit teuflischer Sorgfalt choreographierten Schritte bis zum Massaker aus eigener Beobachtung beschreiben kann.

Reuter, berichten Kollegen, ist einer, der immer ruhiger wird, wenn eine Lage eskaliert. So einen kühlen Kopf zeigen auch seine Analysen. Legendär wurde seine Beschreibung des undurchschaubar scheinenden Syrien-Konflikts im SPIEGEL-Podcast „Sagen, was ist.“

Mit der Auszeichnung für Christoph Reuter anerkennt die Jury des „HJF-Preises für Fernseh-Journalismus“ auch die Tatsache, dass journalistische Tugenden wichtiger sind als das Medium, in dem sie sich gerade zeigen.

Der Preis für Christoph Reuter ist Ausdruck des Respekts für die Leistung entschlossener und kundiger Reporter*innen, die dorthin fahren, wo für sie die entscheidende Story ist, wann immer sie es persönlich für verantwortbar halten.

Die Jury weiß, dass dazu auch ein Haus seine Reporter*innen reisen lassen und dann ihrem Urteil am Ort vertrauen muss.

Gewiss hätte Hanns Joachim Friedrichs beides genau so gesehen, für nötig befunden, und oft vermisst.

 

Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis 2022 an die Reporter und Redakteur*innen von OstWest, Berlin

Ein russischsprachiger Bezahlsender aus Berlin jenseits staatlicher Propaganda, mit einem 24-Stunden-Vollprogramm fernab vom russischen Staatsfernsehen – das ist OstWest mit Sitz in der Hauptstadt. Er wurde 1996 – zunächst als Stadtsender – gegründet, um unabhängige journalistische Informationsprogramme für russischsprachige Länder zu bieten, aber auch als Integrationshilfe für die russischsprachige Bevölkerung in Deutschland.

Seit dem 24. Februar bietet OstWest eine Zuflucht für bedrohte Journalistinnen und Journalisten aus Russland und aus der Ukraine. Es ist der letzte unabhängige Sender in russischer Sprache in Europa. So gelingt der Redaktion - mit einem denkbar kleinen Stab von 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern - etwas Unverzichtbares in Zeiten des Krieges: unabhängige, den Tatsachen verpflichtete Berichterstattung. Den Krieg gegen die Ukraine nennen sie hier auch so und nicht etwa „Spezialoperation“ wie es der Kreml in Russland verordnet hat – wo für das Wort „Krieg“ bis zu 15 Jahre Haft drohen.

Die Redaktion erntet im Internet für Ihre Arbeit nicht nur Dankbarkeit. Aus einschlägiger Richtung kommen auch heftige Hasskommentare und Fake-News-Vorwürfe. Chefredakteurin Maria Makeeva hält mit ihrem Programm dagegen. OstWest soll zeigen, was ist und was passiert. Sie müssten einfach nur die Wahrheit erfahren, sagt Makeeva. Die Zuschauer können dann selbst entscheiden, wem sie glauben oder nicht. Das Programm ist von eher nüchterner Sprache geprägt und verzichtet auf herabsetzende Formulierungen.

Maria Makeeva war früher stellvertretende Chefredakteurin des unabhängigen russischen Senders Doschd, der inzwischen eingestellt werden musste. Geschäftsführer und Gründer von OstWest ist Peter Tietzki, ein russisch-ukrainischer Jude, der bereits zum Ende der Sowjetunion aus Charkiw in der heutigen Ukraine nach Deutschland gekommen war. Und auch die anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von OstWest – vor und hinter der Kamera – stammen zumeist aus Russland oder der Ukraine.

Mit seinen bescheidenen Mitteln sorgt OstWest als einer der weltweit letzten Kanäle täglich für hintergründigen, objektiven und unabhängigen Journalismus in russischer Sprache. Rund 300.000 Abonnements in Deutschland hat OstWest, 500.000 in der Ukraine und über SocialMedia rund eine Million in Russland und ebenso viele in den baltischen Staaten.

Der Druck auf OstWest und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist groß – für die Jury ein weiterer Grund, die Arbeit der Redaktion zu würdigen.

 

Hanns-Joachim Friedrichs Sonderpreis 2022 an die Redaktion der Nachrichtensendung „logo!“ im KiKa (Kinderkanal)

In einer Zeit, in der schon Eltern überfordert sind von der Weltlage, sprachlos gegenüber ihren Kindern, muss die logo-Redaktion jeden Tag harte Grenzen ausloten. Wieviel erzählt man Kindern und Jugendlichen über mögliche russische Atomschläge? Über Long Covid? Über einen 18jährigen mit Waffe in einer Schule? Kindern, die Schlagzeilen dazu auf dem Weg zur Schule am Kiosk oder auf dem Handy lesen und die Fragen haben.

Die logo-Redaktion reagiert mit erstaunlicher Deutlichkeit. Besonders in der Ukraine-Berichterstattung sticht logo hervor. Das Team lässt kein Thema aus. Sowohl in den Fernsehbeiträgen als auch auf einer umfangreichen Online-Themenseite zum Krieg in der Ukraine: Was sind Streubomben? Warum wird Putin nicht einfach festgenommen? Wieso wollen Schweden und Finnland in die Nato? Was sind Sanktionen, Fluchtkorridore, was ist ein Öl-Embargo?

Das Team musste sich dafür auch Kritik anhören: Muten die Journalisten den Kindern zu viel zu? „Wenn der Elefant schon im Raum ist, wollen wir nicht, dass die Kinder ihn selbst ausmalen“, sagt logo-Moderator Tim Schreder. Das übernehme dann die Redaktion, statt es sich einfach zu machen mit einem Rückzug auf „ängstliches Verschweigen“. Mehrere tausend Fragen von Kindern haben das Team seit Kriegsausbruch erreicht. Kein Thema ist Tabu, die Redaktion verzichtet aber auf explizite Bilder. Das ist der Weg von logo, um Kindern beim Verstehen zu helfen und ihnen so die Angst zu nehmen. Es gelingt!

Die Jury des Hanns-Joachim-Friedrichs-Preises sieht eine preiswürdige Leistung: Komplizierte Weltlage klar erklärt, nicht selten besser und unaufgeregter, als es bei den „Großen“ gelungen ist, journalistische Aufklärung im besten Sinne, klar, nicht kalt. Die Zielgruppe der Sendung sind Kinder von acht bis zwölf Jahren, aber auch viele Erwachsene schauen zu. Nicht alle wegen ihrer Kinder, manche wegen der klar strukturierten und verständlichen Berichte.

Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Information, steht in §17 der UN-Kinderrechtskonvention. Ausgerechnet in schwierigen Zeiten wird das häufig nicht ernst genug genommen. Bei „logo“ profitieren nicht nur Kinder von einer vorbildlichen öffentlich-rechtlichen Sendung