Focus

Focus - München, 19.05.2003

Geschmuggelt und versteckt

Wie RTL-Reporterin Antonia Rados die Iraker austrickste - und warum deutsche Fernsehteams einen Schröder-Bonus hatten

DIE FRONT-FRAU ist Frau Doktor - sie promovierte in Politikwissenschaften.

- Die Klagenfurterin, geboren 1953, lebt mit ihrem Partner, einem Franzosen, in Paris.
- Sonderkorrespondentin für RTL ab 1993, seit 1995 Leiterin des RTL-Studios Paris. Reporterin u. a. im Golfkrieg 1991, auf dem Balkan, in Afghanistan, im Irak
- Auszeichnung mit dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis für Fernsehjournalismus2003

FOCUS: Frau Rados, Sie sind noch keine vier Wochen aus dem Irak zurück. Warum wollen Sie nun schon wieder nach Bagdad fliegen?

Rados: Ich würde gern herausfinden, was wir Korrespondenten in unserem Hotel „Palestine“ während der drei Kriegswochen nicht recherchieren konnten: Was geschah in dieser Zeit tatsächlich in den Palästen und Kommandozentralen des Saddam Hussein? Es soll eine Dokumentation werden.

FOCUS: Glauben Sie, dass er noch lebt?

Rados: Es geht mir eigentlich nicht allein um diese Figur, sondern vor allem um die Endzeit des Regimes, über die wir bisher nicht wirklich viel wissen. Saddam kann eine verweste Leiche unter einem Trümmerhaufen sein, kann sich aber auch in der Nähe seiner Heimatstadt Tikrit verstecken oder in Syrien ...

FOCUS:... oder in Russland?

Rados: Da sprießen viele Gerüchte. Ob er vielleicht in den geheimnisvollen Konvoi eingeschmuggelt war, mit dem der russische Botschafter kurz vor Kriegsausbruch Bagdad verließ. Oder ob ihn die Weißrussen, vielleicht die Ukrainer gerettet haben, weil sie enge Beziehungen zum Irak gepflegt und
ch Waffen geliefert haben sollen ...

FOCUS: Schade, dass sich Informationsminister Said al-Sahaf alias Comical Ali nicht dazu äußern kann.

Rados: Einen solchen Typen habe ich noch nirgendwo erlebt. Bizarr. Nicht nur, weil er offenbar der einzige schnurrbartlose Iraker über 18 war. Ein irakischer Ulbricht, ein Betonkopf, der jeden Tag eine frische Uniform der Baath-Partei anzog. Anfangs waren wir bemüht, ihm mit großer Ernsthaftigkeit die Behauptungen von den Heldentaten der irakischen Armee abzunehmen. Dann kam seine Lüge vom freien Flughafen ...

FOCUS:... den die Amerikaner schon längst besetzt hatten ...

Rados: ... und die Drohungen mit „unkonventionellen" Waffen. Wir fragten ihn: „Was heißt das? Chemische Kampfstoffe?" Da begann er zu stottern, so sei das nicht gemeint. Einen Tag später raunte er uns wieder zu: Es gibt sie doch, diese Waffen.

FOCUS: Hat er es geschafft, Ihre Beiträge zensieren zu lassen?

Rados: Der rasante Zusammenbruch des Regimes machte auch die zunächst ernsthaften Aufpasser-Aktivitäten immer mehr zur Farce. Als ich 1991 vom Golfkrieg für den Österreichischen Rundfunk berichtete, hockte neben mir am Telefon noch ein Mensch, der jedes Wort mithörte, Jetzt nahm das niemand mehr wirklich ernst. Anfangs wollten sie unsere Video-Aufnahmen überprüfen. Das haben wir unterlaufen; die Bilder gingen einfach ganz früh am Morgen rüber nach Köln, keiner hat danach gefragt.

FOCUS: Waren die Iraker immer so leicht auszutricksen?

Rados: Es ging einfacher als gedacht. Wir hatten so viel technische Ausrüstung ins Land geschafft, dass wir eine eigene Fernsehstation hätten aufmachen können. 130 Kilo Übergepäck! Jedes Team versuchte das. Dazu gehörten mehrere Satellitentelefone, Laptops, auch Videophones, die offiziell verboten waren, weil sie ohne offizielle Satellitenstationen funktionieren. Professionelle Schmuggler haben uns dabei geholfen.

FOCUS: Wo konnten Sie das ganze Material denn unbemerkt unterbringen?

Rados: Vor allem bei mir im Zimmer. Manchmal wurde es allerdings etwas eng, denn wir mussten auch mehrfach Material von Kollegen bei uns verstecken.

FOCUS: Von britischen und amerikanischen Reportern?

Rados: Ja. Von einem Kollegen der „New York Times". Der irakische Geheimdienst hatte ihm mitten in der Nacht Geld, Telefon und Papiere weggenommen, ihn bedroht. Und einen Italiener haben wir auch mal beherbergt.

FOCUS: Wurden amerikanische Journalisten stärker drangsaliert?

Rados: Zweifellos. Die meisten Amerikaner und Briten sind ja auch gegangen, weil man mit Geiselnahmen rechnen musste. Wer dagegen für einen deutschen Sender arbeitete, besaß eindeutig den Schröder-Bonus. Wir bekamen zwar auch Besuche vom Geheimdienst, aber mit uns gingen diese Typen doch etwas milder um.

FOCUS: Blieben Ihre Aufpasser regimetreu bis zum Schluss?

Rados: Unterschiedlich. Die einen boten mir an, bei ihnen unterzutauchen, wenn man es auf mich abgesehen hätte. Die anderen wollten wirklich bis zum Schluss nicht wahrhaben, was geschah. Als die Diktatur fiel, sah mich mein Aufpasser mit großen Augen an und behauptete: „Die Amerikaner sind gar nicht in der Stadt." Ich schaltete BBC Radio ein - er sagte: „BBC lügt."

FOCUS: Gab es Versuche, Sie für die irakische Propaganda einzuspannen?

Rados: Am Anfang hieß es immer wieder, die Amerikaner feuern 3000 Cruise Missiles auf Bagdad ab. Die Rechnung der Iraker war offenbar folgende: Dann gibt es hier zigtausend Tote. Dieses Szenario blieb aus, also konnte auch ihre Propagandastrategie nicht funktionieren.

FOCUS: Es fiel auf, dass niemals verwundete irakische Soldaten zu sehen waren, aber immer wieder Zivilisten, vor allem verletzte und tote Kinder, gezeigt wurden.

Rados: Das Kalkül der Iraker bestand meiner Meinung nach zunächst darin, die Welt mit den Bildern von Kindern als Kriegsopfer aufzurütteln, um noch mehr Friedensdemonstrationen auszulösen. Später hat sich die Lage geändert: Nach den ersten Selbstmordanschlägen nahmen die Amerikaner weniger Rücksicht auf Zivilisten als vorher.

FOCUS: Sie haben schreckliche Szenen in den Krankenhäusern gesehen, aber nicht alle Bilder gezeigt. Wo ist die Grenze zwischen Informationspflicht und Menschenwürde?

Rados: Wenn Sie einen Attentatsort oder diese Krankenhaus-Notaufnahme zeigen und dabei zum dritten Mal auf ein blutüberströmtes Mädchen zoomen, hat das mit Information nichts mehr zu tun. Das ist nur noch Sensation.

FOCUS: War der Krieg gerechtfertigt?

Rados: Diese Frage werde ich nicht beantworten.

FOCUS: Warum nicht?

Rados: Es gibt nur eins, auf das ich wirklich stolz bin. Als der Krieg zu Ende war, rief mich die RTL-Redaktion an und fragte mich: Ja sag mal, warst du denn jetzt für den Krieg oder dagegen?

FOCUS: Freut es Sie oder stört es Sie wenn männliche TV-Kollegen bewundernd sagen: „Die Antonia Rados ist immer cool, auch wenn die Kugeln pfeifen?"

Rados: Es stört mich nicht. Es stimmt aber auch so nicht. Bei den Kindern im Krankenhaus war ich den Tränen nah.

FOCUS: Noch ein Klischee: „Bild" machte Sie zur „Reporterin mit dem Löwenherz".

Rados: Man kann sich halt die Attribute nicht aussuchen. Wichtig ist doch, dass meine Arbeit anerkannt wird. Den Reporterfrauen im Krieg bleibt außerdem gar nichts anderes übrig, als wie ein Mann zu agieren. Das ist Teil unserer Professionalität.

FOCUS: Wenn's irgendwo kracht, ist die Rados schon da?

Rados: Ja, ich zeig halt immer auf.

FOCUS: Haben Sie nach 20 Jahren als Kriegs- und Krisenreporterin noch nie über Alternativen nachgedacht?

Rados: Ich glaube nicht, dass mir jemand allzu große Kompetenz für Berichte über Pariser Modenschauen zugesteht.

FOCUS: Immerhin gelten Sie seit Bagdad als Expertin für knitterfreie Blusen in bügeleisenfreien Zonen.

Rados: Wirklich? Habe ich noch gar nicht registriert.

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