"Cool bleiben, nicht kalt"
Der Fernsehmoderator Hanns Joachim Friedrichs über sein Journalistenleben.
Für die Zeit ist er "das Denkmal des politischen Moderators", die Tageszeitung sieht in ihm "Deutschlands Sinnbild für Glaubwürdigkeit und Charme", und für den Stern ist er "der Anchorman des deutschen Fernsehens". In den 40 Jahren seiner Bildschirmpräsenz ist Hanns Joachim Friedrichs zum Vertrauensmann der Fernsehdeutschen geworden - als Sportkommentator ebenso geschätzt wie als Kriegsreporter, als Amerikakorrespondent so beliebt wie als Moderator der "Tagesthemen". Er habe für die Menschen vor den Fernsehgeräten immer so etwas sein wollen wie ein gern gesehener Gast an deren Esstisch, sagte er den SPIEGEL-Reportern Jürgen Leinemann und Cordt Schnibben, die er am Dienstag letzter Woche zum Gespräch an sein Bett bat. Der 68-jährige Friedrichs, schwer krank, will, dass die Menschen, die ihm jahrelang Abend für Abend zugehört haben, von ihm persönlich erfahren, was mit ihm los ist, und nicht scheibchenweise aus der Boulevardpresse. Dass das Fünf-Stunden-Gespräch zur Titelstory wurde, ist auch sein Wille - letzte Konsequenz eines Journalistenlebens.
SPIEGEL: Herr Friedrichs, 40 Jahre lang haben Sie Nachrichten aufgespürt, geschrieben und präsentiert, seit einer Woche sind Sie selbst Nachrichtenstoff. Die Boulevardpresse spürt Ihnen und Ihrer Krankheit hinterher.
Friedrichs: Das empfinde ich als unangenehm, aber ich bin nicht dumm genug, um das nicht für unvermeidlich zu halten. Die haben ja lange genug gebraucht, um überhaupt drauf zu kommen, dass ich Krebs hab'. Die sind ja sonst nicht so schläfrig. Aber wir waren drauf vorbereitet, haben gesagt, wir sagen nichts, nichts, nichts. Wenn die sich schon so viel einbilden auf ihre pfiffigen Reporter, dann sollen sie mal zeigen, wie pfiffig sie sind. Jedenfalls findet das alles ohne unsere Mithilfe statt.
SPIEGEL: Und gegen Ihren Willen?
Friedrichs: Ja, aber das ist der Preis, den man zahlt als Figur des öffentlichen Interesses, ob aus der U-Musik, aus der Unterwelt, aus der Politik, aus dem Journalismus. Und wer schlau ist, der kapiert das frühzeitig. Du kannst, wenn du über längere Zeit dein Gesicht im Fernsehen zeigst, viele Dinge nicht mehr tun, die andere Leute tun können, auch nicht in Ruhe sterben. Das ist nun mal so.
SPIEGEL: Seit wann wissen Sie, dass Sie Krebs haben?
Friedrichs: Am 27. Dezember hat der Chefarzt der Klinik mich und meine Frau zu einem Gespräch gebeten und mir gesagt: "Sie haben Krebs, und das hat Folgen. Das müssen Sie wissen. Wir können viel tun, um das Ende hinauszuziehen, ob uns das glückt, wissen wir nicht." Aber irgendwann ist eben Ende.
SPIEGEL: Hat man Ihnen gesagt, wann?
Friedrichs: Man weiß ja nicht, ob so ein Tumor nicht mal stehenbleibt 'ne Weile. Nach meiner ersten Chemotherapie war die Geschwulst nicht größer als bei der Entdeckung. Das ist schon mal ganz gut.
SPIEGEL: Haben Sie vor dem 27. Dezember mal an Krebs gedacht?
Friedrichs: Ja, das tut jeder Raucher. Aber bei mir sieht es gar nicht aus, als ob der Krebs vom Rauchen kommt, weil ich auch an der Leber so ein Ding hab' und die Ärzte sagen, wir können es nicht feststellen, wir können nicht auseinanderhalten, wer die Henne ist und das Ei.
SPIEGEL: Sie reden sehr gelassen darüber. Ist für Sie nicht mehr passiert, als dass Sie nun wissen, Sie müssen eher sterben als erwartet?
Friedrichs: Tja, die Erkenntnis hat mich nicht erschlagen. Ich bin ein ganz pragmatischer Mensch. So ist das nun, und so musst du das nehmen. Was wirklich Wichtiges versäume ich nicht. Ich trage kein Buch mehr mit mir herum, das am Ende meines Lebens geschrieben werden sollte. Ich hab' keine Fernsehsendung im Auge, die ich noch gerne machen möchte. Sehr schwer wird mir der Abschied von meiner Familie fallen, das weiß ich jetzt schon, und von ein paar Freunden. Und ein wenig sticht es innen schon, wenn ich so im Fernsehprogramm sehe, am 6. April ist das, am 6. Juni ist das, am 12. August ist das, und 1996 ist die Fußball-EM. Die werd' ich nicht mehr sehen.
SPIEGEL: Haben Sie Schmerzen?
Friedrichs: Nein, Schmerzen habe ich eben nicht, ich würde lieber Schmerzen haben als dieses hohe Fieber. Ich bin ja praktisch bei den Lahmen. Ich hab' ganz dünne Beinchen. Ich hab' ganz dünne Ärmchen. Das Sprechen fällt mir schwer. Wer will denn so leben? Mir von meiner Frau aus dem Bett helfen zu lassen, das ist auf die Dauer zu wenig. Am schlimmsten sind die langen Nächte, da lieg' ich wach oder versuch', meine Träume einzufangen.
SPIEGEL: Schöne Träume?
Friedrichs: Wilde Träume. Ganz wild durcheinander. Diese Träume sind optische Kurzzitate, Realitätsfetzen, Erinnerungsschübe, Tagesthemenbilder . . .
SPIEGEL: Zum Beispiel?
Friedrichs: Ein alter Mann in Vietnam, irgendein journalistischer Strichjunge aus der ARD-Hierarchie, eine Leiche in Armenien . . . und schon sind sie wieder weg.
SPIEGEL: Haben Sie solche Bilder auch schon früher nachts heimgesucht?
Friedrichs: Nein, aber ich bin schon mal nachts aufgewacht und hab' Angst gehabt, wenn ich da Schreckensmeldungen verbreite von einem furchtbaren Erdbeben in Armenien und ich rufe zur Hilfe auf und tue selbst nichts. Da hab' ich denen 20 000 Mark geschickt.
SPIEGEL: Hat es Sie gestört, dass man als Nachrichtenmoderator ständig den Tod präsentieren muss?
Friedrichs: Nee, das hat mich nie gestört. Solche Skrupel sind mir fremd. Also, wer das nicht will, wer die Seele der Welt nicht zeigen will, in welcher Form auch immer, der wird als Journalist zeitlebens seine Schwierigkeiten haben. Aber ich hab' es gemacht, und ich hab' es fast ohne Bewegung gemacht, weil du das anders nämlich gar nicht machen kannst. Das hab' ich in meinen fünf Jahren bei der BBC in London gelernt: Distanz halten, sich nicht gemein machen mit einer Sache, auch nicht mit einer guten, nicht in öffentliche Betroffenheit versinken, im Umgang mit Katastrophen cool bleiben, ohne kalt zu sein. Nur so schaffst du es, dass die Zuschauer dir vertrauen, dich zu einem Familienmitglied machen, dich jeden Abend einschalten und dir zuhören.
SPIEGEL: Was macht einen Journalisten zum Nachrichtenonkel, was muss er können?
Friedrichs: Ich habe mich nie als Nachrichtenonkel verstanden, sondern als Mensch, der mit am Esstisch sitzt, der ein bisschen mehr weiß, weil er die Fähigkeit hat, unbefangen in die Welt zu gucken und das, was er entdeckt, so wiederzugeben, dass die Leute ihm glauben. Und ich darf die Leute abends in ihrer Wohnung nicht anbrüllen, das haben die nicht gern.
SPIEGEL: Je wichtiger die Nachricht, desto leiser die Stimme?
Friedrichs: Es ist nicht die Aufgabe des Moderators, die Leute zur Betroffenheit zu animieren. Die sollen selber entscheiden, ob sie betroffen sein wollen oder nicht. Einen Satz habe ich mit viel Emphase gesagt. Der hat mir viel Freunde eingebracht, aber natürlich auch viele Gegner. "Seit heute wissen wir's: Barschel hat gelogen." Da kamen sie alle am nächsten Tag und gratulierten mir. Du bist der erste im Fernsehen, der gesagt hat, Barschel hat gelogen.
SPIEGEL: Der wichtigste Satz?
Friedrichs: Den hab' ich ganz leise gesprochen. "Die Tore in der Mauer stehen weit offen."
SPIEGEL: Wer hat im deutschen Fernsehen die Fähigkeit, leise genug zu sein?
Friedrichs: Der Wolf von Lojewski hat sie, der Ulrich Wickert, die Sabine Christiansen hat sie jetzt auch. Die hat wirklich an sich gearbeitet, da gibt's nix. Sie macht fast nur fehlerfreie Sendungen. Und ich finde den Peter Kloeppel von RTL ganz gut. Sein Problem: Der wirkt zu jugendlich. Ich habe neulich von jemandem, der da arbeitet, erfahren, dass die bei RTL das auch so sehen: Die haben überlegt, den älter zu schminken.
SPIEGEL: Und ihm graue Haare zu verpassen?
Friedrichs: Das ist eine ganz ehrenhafte Überlegung. Passt zu RTL. Die haben ja auch diese lächerliche Manie erfunden, sich nach jedem Filmbericht rumzudrehen und zu sagen: "Hallo, Holger, wo steht das Wasser denn heute in Godesberg?" Guck mal, sind wir modern. Diese Satellitenschüsseln zu mieten ist ja kein Kunststück, das kann inzwischen jeder Regionalsender. Der Chefreporter von RTL ist in der Beziehung ein Mann, der Maßstäbe setzt - gestern im belagerten Sarajevo, heute bei den Soldaten in Somalia, morgen bei den Hungernden in Ruanda. Nichts gelesen, nichts kapiert, aber immer mitten am Elend und voll im Bild.
SPIEGEL: Solche Reporter soll es nicht nur bei RTL geben, auch bei ARD und ZDF.
Friedrichs: Aber bei den Privaten kommen sie groß raus und prägen das, was die Leute für Fernsehjournalismus halten. Die haben ja nun alles abgekupfert in Amerika, aber dass die da drüben hart arbeitende Nachrichtenprofis sind, das haben die nicht einmal gemerkt. Die glauben, es reicht, eine schöne Frau oder einen jungen Mann vors Mikrofon zu stellen und sie Sätze voller hanebüchener Ahnungslosigkeit sagen zu lassen.
SPIEGEL: Na ja, die Menschen, die gelegentlich den Kommentar in den "Tagesthemen" sprechen, unterscheiden sich von diesen Journalistendarstellern nur durch Haarausfall oder Sprachfehler. Was geben Sie der ARD mit auf den Weg?
Friedrichs: Den fleischgewordenen Proporz wird man aus den Anstalten nie wieder rauskriegen. Der Sündenfall war die Beteiligung der Parteien an den Rundfunkanstalten. Darum ist aus der ARD nie so etwas wie die BBC geworden. Wenn sie gegen die Privaten bestehen will, muss die ARD es machen wie der SPIEGEL: nicht kopieren, Rückbesinnung auf das, was man am besten kann. Mir machen solche Leute Hoffnung wie der ARD-Reporter nach dem Brandanschlag in Solingen, so ein junger Mann, der heißt Jörg Schönenborn, der hat in zehn Minuten ohne Blatt und ohne irgendeine erkennbare Vorbereitung alles gesagt, was man zu diesem Zeitpunkt zum Thema Solingen sagen konnte. Fabelhaft. Den kannte keine Sau, der saß als junger Mann im Studio Wuppertal, wo nun wirklich nichts passiert, und weil Solingen bei Wuppertal liegt, ist der zu seiner Chance gekommen.
SPIEGEL: Wann hatte der junge Hanns Joachim Friedrichs seine Chance?
Friedrichs: Genau genommen 1949, als mich, den 22-jährigen Telegraf-Redakteur, ein britischer Presseoffizier fragte, ob ich Lust hätte, für einige Wochen die britische Demokratie in London zu studieren, und der Zufall es wollte, dass ich dann für die BBC einen kleinen Bericht über Berlin schrieb und sprach. Ich blieb fünf Jahre beim Deutschen Dienst der BBC, machte Nachrichten aus aller Welt für die Deutschen zu Hause, so eine Art Nachhilfeunterricht für Diktaturgeschädigte. Da hab' ich gelernt, "to inform and to enlighten", zu informieren und zu erhellen, also aufzuklären, und dieses Verständnis von Journalismus hat mich vor allerlei Dummheiten geschützt.
SPIEGEL: Sie meinen vor politischen Liebesdiensten oder wovor?
Friedrichs: Vor allem vor dieser Lockerheit, die sich Mitte der achtziger Jahre in Deutschland breitmachte. Da kam ich aus Amerika zurück, wo ich als ZDF-Korrespondent war. Und plötzlich habe ich ganz deutlich gemerkt: Da war "locker" das Zauberwort. Man konnte dumm sein wie Bohnenstroh, hässlich wie ein Autobus von hinten, nur man musste locker sein. Locker war alles. Und das hieß: locker war keiner. Das Allerschlimmste, was der liebe Gott den Menschen mitgegeben hat, ist: locker sein zu wollen, ohne locker sein zu können. Das ist schlimmer als die ehrliche Steifheit.
SPIEGEL: Bei welchen Moderatoren sehen Sie diese vorgespielte Lockerheit?
Friedrichs: Eigentlich bei fast allen - aber es gibt Leute, die versuchen gar nicht erst, locker zu sein. Das sind mir die liebsten - zum Beispiel Klaus Bednarz. Ich hab' all diesen Mist nicht mitgemacht, Infotainment nicht, habe auch nicht unter irgendeinem Vorwand durch das Schlüsselloch anderer Leute geguckt - ich bin sauber geblieben.
SPIEGEL: Das klingt ein bißchen nach Trost.
Friedrichs: Nicht nur ein bisschen. Das ist der einzige Trost, den man hat, kurz vor dem Ende. Der Trost, dass es kein weggeschmissenes Leben war. Ich bin ja nicht 32 Jahre alt, hab' gerade geheiratet, habe zwei Kinder, ein kleines Unternehmen gegründet und sterbe urplötzlich an Krebs. Was ist denn bei solchen Leuten los? Ihr habt ja kürzlich diese Titelgeschichte über Auschwitz gebracht. Die hat mich an den Tod denken lassen. Habe ich lange Tage drüber gegrübelt. Wie willkürlich man Leute, die mindestens so begabt waren wie wir, so ansehnlich wie wir und so leistungsstark, krepieren ließ. Kleine Kinder, die sie an den Beinen genommen haben und den Kopf an die Wand geknallt. Was ist denn das für 'ne Art zu sterben? Ich bin doch 'ne Luxusleiche. Oder werde eine sein. Ich bin umgeben von lieben Leuten und Medizinern, die alles für mich machen. Diese Leute damals waren kerngesund, und dann holt man die ganz willkürlich zu Hunderttausenden aus ihren Wohnungen raus, quält sie, und dann bringt man sie auf viehische Weise um. Ich hab' darüber früher schon nachgedacht, was wär', wenn du ein Judenjunge gewesen wärst.
SPIEGEL: Wenn Sie nachts wach liegen und über Ihr Leben nachdenken, welcher Teil ist wichtiger, der, den Sie gelebt haben, oder der, den Sie nicht leben konnten oder nicht mehr leben können?
Friedrichs: Den ich gelebt habe. Manchmal denke ich jetzt an diesen Reporter, von Hans Söhnker gespielt, dem ich 1942 in Herford im Kino begegnete. Wenn er sich auf dem Bahnhof von Marianne Hoppe verabschiedete, um den Zeppelinabsturz zu recherchieren oder das Treiben finsterer Gestalten in China, nahm er sie immer mit den gleichen Worten in den Arm: "Auf Wiedersehen, Franziska." Das stellte ich mir schön vor, Mensch, das wär' doch was, mit 'nem Mikrofon rumsausen, den Leuten was erzählen, was da passiert, dann wieder nach Hause, dann wieder weg.
SPIEGEL: Und dann wieder in die Arme von Marianne Hoppe.
Friedrichs: Ja, die habe ich angehimmelt, sie war für mich die Traumfrau, die hatte so eine leise Melancholie.
SPIEGEL: Und? Hat's geklappt?
Friedrichs: Was?
SPIEGEL: Als Reporter den Marianne Hoppes dieser Welt nahezukommen?
Friedrichs: Ja, doch. Ich habe gelegentlich Beziehungen mit Frauen gehabt, die älter waren als ich, und habe die sehr genossen.
SPIEGEL: Die Sehnsucht nach Liebe als Motiv, Reporter zu werden?
Friedrichs: Nein, die Neugier war das Entscheidende, die Sehnsucht, mir die Welt zu erschließen. Aber meine ersten Reisen als Journalist gingen nicht weiter als mit der Berliner U-Bahn zum Halleschen Tor. Erst später klappte es dann mit der Weltreise, sogar zweimal bin ich für den WDR um die Welt gereist. Das war eine Serie über die Geschichte der Auswanderung aus Deutschland, die damals ein Riesenerfolg war, nicht weil sie so gut gemacht gewesen ist, sondern weil jeder zweite Deutsche im Nachkriegsdeutschland mal auswandern wollte. Und keiner oder ganz wenige haben es gemacht.
SPIEGEL: Und Sie? Wo sind Sie zu Hause?
Friedrichs: Ich habe kein Heimatgefühl. Welche Heimat habe ich denn? Ich bin in Westfalen geboren. Meine Kindheit habe ich da verbracht. Dann war ich im Internat in Thüringen. Dann war ich Luftwaffenhelfer, Arbeitsdienstmensch, Soldat, bisschen Gefangenschaft. Dann war ich wieder mal ein Jahr zu Hause, weil ich mein Abitur nachmachen musste. Das galt ja nicht, das Kriegsabitur. Und dann bin ich nach Berlin gegangen, dann London, Köln, New York. Also wo ist meine Heimat?
SPIEGEL: Das Nach-Hause-Kommen war für Sie nicht so wichtig wie für Hans Söhnker im Film?
Friedrichs: Ich hatte ja immer ein "Zuhause", nur nicht im überhöhten Sinne, im Heimatsinn.
SPIEGEL: Haben Sie das als Mangel empfunden?
Friedrichs: Ja, schon ein bisschen. Aber ich hatte keine Lust, mir eine Kunstheimat zuzulegen. Ich bin Westfale. Wann bin ich denn das letzte Mal in Westfalen gewesen?
SPIEGEL: Haben Sie jetzt das Gefühl, eine Heimat zu haben?
Friedrichs: Ja, jetzt habe ich eine - das hat mit meiner Familie zu tun, die ja wirklich eine Familie ist. Ich habe eine wunderbare Familie geheiratet. Und das hat mich doch ganz fest an Hamburg gebunden. Auf die Frage, wer sind Sie denn, sind Sie Bayer, sage ich nee, ich bin Hamburger. Ich bin natürlich kein Hamburger, aber ich möchte gern einer sein.
SPIEGEL: Ist Entwurzelung der Preis für ein Journalistenleben?
Friedrichs: Es ist der Preis für mein Journalistenleben. Die meisten Journalisten sind sehr verwurzelt. Es ist der Preis für meine Neugier, und es ist der Preis für ein Fernsehjournalistenleben, das ist ja auch noch mal was ganz Eigenes.
SPIEGEL: In Ihrem Buch* schreiben Sie von der ersten Begegnung mit diesem schwarzen Holzkasten, im Schaufenster eines Londoner Elektroladens, im Juli 1952 . . .
Friedrichs: . . . da war mir klar, dass ich vor einer großen Sache stand, obwohl das jetzt vielleicht etwas neunmalklug klingt. Für meine BBC-Kollegen waren diese zappelnden Männchen auf der schwarzen Scheibe Mickymäuse. Ich habe das nicht für ein Mickymaus-Unternehmen gehalten. Ich habe, wie andere, relativ früh kapiert, dass man damit unheimlich was machen kann.
Fußnote * Hanns Joachim Friedrichs: "Journalistenleben". Droemer Knaur, München; 285 Seiten; 39,80 Mark.
SPIEGEL: Hat es Sie gereizt, Ihr Gesicht da mal reinhalten zu können im Gegensatz zum Hörfunk, hat das eine Rolle gespielt?
Friedrichs: Eigentlich nicht, das war kein Grund, das klingt jetzt ein bisschen eitel, aber das fand ich nicht so wichtig, ich fand die Geschichte wichtig. Und als ich dann zum ersten Mal vor der Kamera stand, war das nicht sehr angenehm, aber es war auch nicht ohne Erfolg. Die mochten meine Art ganz gerne. Ich hab' ja damals schon bei Werner Höfer moderiert, der hatte ja seine Regionalschau in Köln, die erste in Deutschland.
SPIEGEL: Wann haben Sie zum erstenmal den Ruhm gespürt?
Friedrichs: Das fing an 1959, als ich so drei Jahre "Hier und heute" hinter mir hatte, da sagten die schon mal in der Kneipe: "Ah, da ist ja der Jeck vom Fernsehen." Das kommt automatisch, wenn du regelmäßig auf dem Schirm bist. Wichtig ist nicht, dass du schön bist oder intelligent oder weltgewandt oder wortgewandt. Wichtig ist Frequenz. Du kannst so dumm sein, dass dich die Schweine beißen, du musst nur jeden Tag so dumm sein, dass dich die Schweine beißen. Dann ist dein Aufstieg zum Ruhm nicht mehr aufzuhalten.
SPIEGEL: Also doch: Fernsehen, das Null-Medium?
Friedrichs: Natürlich. Aber ich hab' viel Spaß an dem Null-Medium. Und ich war keine Null, viele andere auch nicht. Die haben versucht, den Laden über Null zu halten. Aber es gibt Tausende, deren fehlendes Talent sie nicht daran gehindert hat, großen Fernsehruhm zu erlangen. Fragen Sie doch mal die Leute: "Wie heißt der Landwirtschaftsminister?" und: "Wie heißt die Dame beim ,Glücksrad', die die Buchstaben umdreht?" Die Bingo-Maus gewinnt 9:1, ich schwör's. Das ist Fernsehen.
SPIEGEL: Hat Sie die Herablassung gekränkt, mit der Politiker, die unentwegt von der Macht der Medien reden, Fernsehreporter behandeln? Hat es Sie geärgert, wenn sie gar, wie Helmut Schmidt, dem Volk einen Tag ohne TV verordnen wollten?
Friedrichs: Ach, Helmut Schmidt. Der ist ja einfach ein Snob. Er wollte mal was sagen, was die Leute schockierend finden. Ich unterstelle ihm sogar, dass er selbst einen fernsehfreien Tag aushält, aber das nun verbindlich zu machen für die ganze Republik, das war 'ne Schnapsidee.
SPIEGEL: Haben Sie sich persönlich von ihm als "Wegelagerer" beleidigt gefühlt? Oder glauben Sie sich da nicht angesprochen?
Friedrichs: Ich fühle mich von solchen Sachen nie angesprochen. Gucken Sie sich doch die Leute an, die das sagen. Die tun so, als ob ein Penner nach ihnen grapschte. Als ginge es um persönliche Auskünfte und nicht darum, dass hinter dem Reporter ein paar Millionen stehen, die informiert werden wollen. Ich staune allerdings auch über die Duldsamkeit mancher Kollegen, die sich in aller Öffentlichkeit abbürsten lassen wie dumme Jungs.
SPIEGEL: Kanzler Schmidt war immer besonders herablassend zu Fernsehjournalisten.
Friedrichs: Das ist ein komischer Vogel. Ich hab' den Schmidt bestimmt 20 mal interviewt. Das war immer ganz knapp und cool. Hin und wieder erlaubte er sich einen Scherz, feixte dann mit diesem Krokodilgrinsen über Land und Leute, aber nie war was Besonderes. Kein Streit und keine Herzlichkeit. Nur diese Schulmeisterei: Ja, das müssen Sie anders fragen, diese nervende Besserwisserei, die er ja nie losgeworden ist.
SPIEGEL: Gab es denn einen Politiker, der noch abschätziger war zu Journalisten oder zu Ihnen?
Friedrichs: Helmut Kohl. Der hat mich lange ignoriert, was ja an sich kein Unglück ist. Aber als der Verwaltungsrat des ZDF, dessen Vorsitzender er damals war, mich 1973 zum Sportchef machen wollte, war er vehement gegen mich.
SPIEGEL: Hatten Sie ihm was getan?
Friedrichs: Ja, aber das wusste ich gar nicht mehr. Jahre vorher, ich war noch ein kleiner Provinzreporter, hatte ich nach einer Landtagswahl in Rheinland-Pfalz dem Landtagsabgeordneten Kohl gesagt: "Ihre Partei hat aber mächtig verloren." Richtig war: Die hatten zwar die Mehrheit behalten, aber enorm viel Stimmen eingebüßt. Prompt polterte Kohl los: "Verloren? Was heißt denn hier verloren? Wir haben die Wahl gewonnen. Gucken Sie sich mal das Ergebnis an." Zack, Ende des Interviews. Er hat dieses Gespräch mit mir nie vergessen, obwohl ich in seinem Leben danach überhaupt keine Rolle spielte.
SPIEGEL: Aber ZDF-Sportchef sind Sie ja dann doch geworden.
Friedrichs: Ja, dass ich durchkam, verdanke ich wohl Genscher, der, glaube ich, für mich stimmte. Der war auch im Verwaltungsrat.
SPIEGEL: Und Kohl?
Friedrichs: Er musste mir eines Tages, es war nicht zu umgehen, doch noch die Hand geben. Er war als Kanzler in New York, da gab es einen Empfang und ein Defilee, und da musste man vorbei. Also habe ich ihm gratuliert. Er war gerade wiedergewählt worden. Und ich habe seine Frau begrüßt, die mochte mich ganz gerne, das wusste ich.
SPIEGEL: Sie zeigt das.
Friedrichs: Ja, unlängst kam sie auf irgend so einem Ball auf mich zu und sagte: "Lieber Herr Friedrichs, ich wollte Ihnen nur sagen, ich finde Ihre Filme ,Wunderbare Welt' wirklich wunderbar. Die sollen so lange laufen, wie es eben geht." muss sie ja nicht sagen zu einem Typen, den ihr Macker nicht ausstehen kann.
SPIEGEL: Ist Ihnen irgendein Fall in Erinnerung, wo das Fernsehen einen Politiker gestürzt hat?
Friedrichs: Das Fernsehen alleine?
SPIEGEL: Oder vorwiegend, weil Politiker ja immer so eine Angst haben vor dem Fernsehen.
Friedrichs: Ja, aber die haben nur deshalb so eine Angst vor dem Fernsehen, weil sie sich selbst darin sehen.
SPIEGEL: Abbild und Reaktion schaukeln sich hoch?
Friedrichs: Ja, wie damals am 9. November im Bundestag bei der Jenninger-Rede. Da hat das Fernsehen eine große Rolle gespielt, weil die Kameras die Reaktion der Theaterdirektorin Ida Ehre aus Hamburg eingefangen haben. Die war Jüdin, und sie hatten sie auch sicher mit Hinblick auf diesen Tag eingeladen, und die schlug nun plötzlich entsetzt die Hände vors Gesicht. Das ist natürlich ein Bild, das hat keiner vergessen.
SPIEGEL: Könnte es dennoch sein, dass das Fernsehen dämonisiert wird in seiner Wirkung auf die öffentliche Meinung und politische Entscheidungen?
Friedrichs: Das glaube ich schon, ja. Die CDU meint ja immer noch, dass das Fernsehen jede Wahl gewinnen könne. Ich halte das für Quatsch.
SPIEGEL: Haben Sie selbst sich jemals mächtig gefühlt? Haben Sie etwas beeinflussen können?
Friedrichs: Mensch, was wir dann alles gemacht hätten. Also - im politischen Sinne sicher nicht, allenfalls im sozialen Sinne. Da konnte man vielleicht auf irgendeinen Notstand aufmerksam machen und helfen, den zu lindern.
SPIEGEL: Trotzdem haben Sie Ihren Moderatoren-Job - in einem überparteilichen Sinne - politisch verstanden. Sogar Ihre Naturfilme "Wunderbare Welt" bezeichnen Sie als Beiträge zur politischen Bildung der Menschen in diesem Lande. Ist das nicht ein bißchen überzogen?
Friedrichs: Als ich damit anfing, sagten die Kollegen da draußen in Lokstedt: Was, du machst jetzt Tierfilme? Wir haben jetzt die ersten vier Folgen wiederholt, weil ich in dieser Lage keine neuen machen kann. Die hatten genauso hohe Einschaltquoten wie beim erstenmal.
SPIEGEL: Was ist daran politisch?
Friedrichs: Die Sendung hat eine grüne Botschaft: Wenn der Mensch sich weiter so bemüht, dann kriegt er das auch noch kaputt. Zum Beispiel der letzte Film, der über Biber. Das war kein reiner Tierfilm. Der Biber ist der Architekt unter den Tieren. Der plant, der baut und sorgt dafür, dass er über den Winter kommt. Das wird gezeigt, ganz klein, ganz genau. Ein wunderbarer Film. Nicht diese Elefanten und Löwen und Tiger sind die Stars, sondern so ein kleines Puscheltierchen, der Biber.
SPIEGEL: Wenn Sie die Wahl hätten. 45 Minuten über den Biber oder über Helmut Kohl - was wäre Ihnen wichtiger?
Friedrichs: Wichtiger wäre mir wohl doch ein Kohl-Film, aber schweren Herzens.
SPIEGEL: Haben Sie jemals überlegt, in die Politik zu wechseln? Aktiv für eine Partei zu arbeiten?
Friedrichs: Ich habe das mal im Visier gehabt, als Pressesprecher einer möglichen Regierung Lafontaine. Das hätte aber nie geklappt. Um vier Uhr aufstehen, um fünf Uhr aufstehen . . .
SPIEGEL: Und warum haben Sie sich im letzten Wahlkampf offen für die SPD engagiert?
Friedrichs: Weil ich meine aktive Fernsehzeit hinter mir hatte. Weil ich nicht mehr in Sendungen arbeiten muss, die Glaubwürdigkeit verlangen.
SPIEGEL: Der Abschied vom Beruf ist Ihnen schon damals schwergefallen.
Friedrichs: Wie denn auch nicht? Ich habe einen Beruf gehabt, um den mich wahrscheinlich 79 Millionen Deutsche beneiden, weil das einer der wenigen Berufe ist, die man Tag für Tag ausübt mit immer gleichem Spaß. Es hat keinen einzigen Tag gegeben, an dem ich ungern in die Redaktion gegangen bin.
SPIEGEL: Was hat den Spaß ausgemacht?
Friedrichs: Die Spannung auf die Geschichte, die dabei rauskommt. Was erfährst du jetzt? Wird es so laufen, wie du dir das vorstellst? Jedenfalls habe ich mich nie gelangweilt. Viele Leute haben ja Berufe, die sie nur ausüben, um Geld zu verdienen. Sehen Sie sich doch mal in der U-Bahn um, morgens.
SPIEGEL: Ihr Journalistenleben hat - bei aller Nüchternheit - erstaunlich romantische Züge. Ist der Fernsehreporter Hanns Joachim Friedrichs eine Art ins richtige Leben verirrter Kinoheld gewesen?
Friedrichs: Also - zu den schönsten Seiten des Journalistenlebens gehört es sicher nicht, in den letzten Hinterhof kriechen zu müssen oder in den letzten Bambus-Urwald, um noch irgendeine Absonderheit zu finden, weil alles andere schon mal dagewesen ist.
SPIEGEL: Und wer in den sechziger Jahren neugierig war, den verschlug es zwangsläufig nach Vietnam?
Friedrichs: Damals war das eigentlich eher eine unjournalistische Empfindung, die mich für längere Zeit hingebracht hat. Ich war ganz früh schon zweimal da, um Reportagen zu machen. Eine über einen alten Arzt, der sich in einer Urwaldhütte zu Tode kiffte, der hat Opium genommen. Und dann zum zweitenmal, als wir die Anfänge des Vietnamkriegs zeigen wollten. Das war eine Zeit, in der Saigon für mich die schönste Stadt der Welt war. Ich wollte aufhören zu arbeiten, nur ein Haus kaufen und am Saigon-Fluß leben. Da war ich 34 Jahre alt.
Ich werde nie diesen deutschen Diplomaten vergessen, der war Junggeselle, ich vermute: schwul, der hatte eine Villa auf der anderen Seite vom Saigon River. Da waren ein paar wunderbare Villen direkt am Wasser, ganz hermetisch abgeriegelt nach außen durch Mauern und Tore. Dorthin hat er uns zum Essen eingeladen. Wir saßen an einem wunderbaren Tisch, der hatte Köche, der hatte Personal, wir haben toll gegessen. Und dann diese sanften Mädchen. In so einem Pavillon, der direkt am Fluß lag, gab es Kaffee und Cognac, wenn man wollte.
Das Haus hätte ich gerne gekauft. Es gehörte irgendeinem exilierten Amerikaner, der wird sich die Villa zurückgeholt haben.
SPIEGEL: Was war es denn wirklich, was Sie so verzaubert hat damals?
Friedrichs: Also gewiß nicht nur dieses eine Essen da, sondern das ganze Flair der Stadt, die Eleganz der Leute. Das war 1961. Und ich kam aus Deutschland, das dürfen Sie nicht vergessen. In Saigon gab es kein einziges schlechtes Restaurant. Es war paradiesisch. Das Klima war erträglich. Und da gab es diesen Tennisklub mitten in der Stadt.
SPIEGEL: Das waren die Schönheiten.
Friedrichs: Ja, und dann war da der Krieg. Ich hab' mich dahin gemeldet, das musstest du ja.
SPIEGEL: Freiwillig? Was hat Sie gereizt?
Friedrichs: Nicht der Krieg. Mich hat die Rückkehr in eine Stadt gereizt, von der ich ahnte, dass sie nicht mehr so sein würde, wie sie mal war. Aber sehen wollte ich das trotzdem. Na ja, da musste ich halt diese Kriegsberichterstattung machen. Und das war dann natürlich ein ganz anderes Saigon-Erlebnis.
SPIEGEL: Nun gibt es ja Reporter, die sehen in der Kriegsberichterstattung die Krone des Journalismus.
Friedrichs: Ich nicht, im Gegenteil. Für mich ist Kriegsberichterstattung die einfachste Art Journalismus. Das kannst du bei Edmund Gruber sehen. Gruber hat sich ja den journalistischen Ruf, den er mal hatte, im Sechstagekrieg in Israel geholt. Da ist dauernd geballert und gebumst und gewummert worden, und er stand immer mittendrin.
SPIEGEL: Das will aber auch überlebt sein.
Friedrichs: Ja, doch. Du musst natürlich erst mal lernen, "incoming fire" und "outgoing fire" zu unterscheiden. Und erst denkst du, das lernst du nie. Das ist Knall auf Knall. Aber das kapierst du ganz schnell. In drei, vier Tagen hast du das drauf.
SPIEGEL: Und doch haben Sie einen Streifschuß abgekriegt.
Friedrichs: Ich bin nicht mit einem Schock rumgelaufen danach. Mich hat es allerdings zu der Überlegung gebracht, dass ich ein Loch in der Schläfe gehabt hätte, wenn ich den Kopf zehn Zentimeter weiter nach vorne gehalten hätte. Und dann wäre es vorbei gewesen.
Aber die Vietnamesen wollten uns offenbar nicht kaltmachen, denn so schlumpig kann keiner schießen, dass er uns auf dem Sonnendeck unseres Bootes nicht mühelos hätte treffen können.
SPIEGEL: Sie reden ziemlich cool darüber.
Friedrichs: Ja, eine Todesfaszination hatte ich nicht. Ich neige nicht zu solchen Sachen. Selbst jetzt nicht.
SPIEGEL: War es ein Spiel mit dem Tod?
Friedrichs: Ach, sterben wollte ich eigentlich auch nicht.
SPIEGEL: Aber fordert man nicht den Tod heraus bei solchen Einsätzen, nach dem Motto: Ich flieg' da mit, mal gucken, was passiert.
Friedrichs: Ich bin da nur rausgeflogen, wenn wir Action-Storys gemacht haben, aber wirklich nur, um Exklusivmaterial nach Hause zu schicken, das nicht jede Agentur auch liefern kann. Das ist eben wichtig für den Zuschauer zu erfahren, dass der eigene Sender sich die Mühe gemacht hat, einen Mann rauszuschicken. Das finde ich ganz vernünftig. Es ist auch überlebbar. Meines Wissens ist kein deutscher Korrespondent in Vietnam ums Leben gekommen. Kameraleute eine ganze Menge, ja.
SPIEGEL: Dennoch waren auch Sie natürlich dort dem Tod näher als in Hamburg an der Außenalster?
Friedrichs: Klar, das vergißt du natürlich nicht, wenn es dauernd knallt. Denn kaum gehst du ja aus der Hoteltür raus, dann fängt es an zu ballern. Und dann wusstest du schon, du musst aufpassen, wenn es "incoming fire" war. Das hast du dann natürlich auch getan. Also, ganz doof war ich ja auch nicht.
SPIEGEL: Sie hatten ja auch noch die großdeutsche Grundausbildung als Hitlerjunge, Arbeitsmann und Flakhelfer in den Knochen.
Friedrichs: Ja, ja, mich ganz schnell auf die Erde schmeißen, das konnte ich noch. Da waren meine jüngeren Kollegen, also der Assistent und der Tonmann, schon ungeübter.
SPIEGEL: Hatten Sie Angst damals?
Friedrichs: Wer keine Angst hat, der lebt nicht. Jeder hat Angst vor irgendwas. Ich hab' schon mal Angst gehabt, wenn ich fünf Minuten von der Straße weg war, weil ich was sehen wollte. Und da brüllt einer: Minen!
Ein anderes Mal, da waren wir in Zentralvietnam Gäste einer koreanischen Division, die als Partner der Amerikaner kämpfte. Wir kamen dahin, wurden ins Offizierskasino gebracht, alles sehr nett. Es gab Koreanisch zu essen, alles prima, aber dann sagte der Kommandeur, ein Oberst, ein kleiner Dicker: "Nun wollen wir mal ins Dorf runter."
Es war so halb elf in der Nacht in einem unbeleuchteten vietnamesischen Dorf. "Was ist", sagte er, "fahren Sie mit mir?" Da konnte ich schlecht nein sagen. Und dann legt der seinen Pistolengürtel ab, steigt wirklich ohne Waffe in den Jeep, und wir brettern runter durch das Dorf: Nebenstraßen, kleine Hügel, Kurve gemacht, dann wieder runter, wieder rauf, nichts. Kein Schuß, kein nichts.
Warum nicht? Die Koreaner hatten da vorher soviel Rabatz gemacht, da traute sich keiner mehr. Die haben gleich fünf oder sechs Leute mit dem Kopf nach unten aufgehängt und ein paar Tage hängen lassen. Das war die Message.
SPIEGEL: Nicht mißzuverstehen. Damals, sagen Sie, hatten Sie Angst angesichts des Todes. Und heute?
Friedrichs: Überhaupt nicht.
SPIEGEL: Gibt es einen Begriff, der Ihren gegenwärtigen Gemütszustand beschreibt?
Friedrichs: Also, das klingt sicher ganz unglaubwürdig. Aber es ist so: Ich sehe dem mit großer Gelassenheit entgegen, was da auf mich zukommt. Ich habe ein paar rationale Begründungen dafür. Zum Beispiel sage ich mir: Du hast ja eigentlich ein tolles Leben gehabt. Ich bin jetzt 68. Wer wird schon 68? Ich bin nie krank gewesen, habe nie irgendwelche körperlichen Gebrechen gehabt. Ich habe fast immer in angenehmer Gesellschaft gelebt, mit guten Freunden und angenehmen Damen. Den Beruf habe ich schon gepriesen.
SPIEGEL: Sind Sie ein gläubiger Mensch?
Friedrichs: Nein, sicher nicht in dem traditionellen christlichen Sinne. Ich bin auch kein Esoteriker. Ich glaube nicht an das Leben nach dem Tode.
SPIEGEL: An Seelenwanderung?
Friedrichs: Auch nicht an Seelenwanderung oder an eine Wiedergeburt. Das sind Spekulationen von Leuten, die nie dagewesen sind.
SPIEGEL: Aber ein bißchen Hoffnung, dass vielleicht nach dem Tod noch etwas sein könnte, klingt doch durch?
Friedrichs: Ja, Hoffnung schon, aber auf was? Vielleicht löst man sich total auf, man ist weg. Vielleicht gibt es aber doch irgendein Leben nach dem Tode.
SPIEGEL: Solche Gedanken kommen schon mal?
Friedrichs: Ja, die kommen dann schon. Man sieht sich im Himmel, auf Wolke 7.
SPIEGEL: Hilft es eigentlich, darüber zu reden?
Friedrichs: Na ja. Es belastet mich nicht, aber es hilft auch nicht viel. Ich rede jetzt ganz offen darüber. Seit in den Zeitungen darüber geschrieben wird, ohne dass mich einer gefragt hat, muss ich keine Andeutungen mehr machen. Ich spreche ganz gerne darüber. Aber ich werde auch nicht jeden hereinlassen. Das muss ich ja nicht haben. Mit Freunden hab' ich jedenfalls keine Hemmungen, darüber zu reden.
SPIEGEL: Haben die Freunde Hemmungen, mit Ihnen darüber zu reden?
Friedrichs: Nein. Alle, die hier waren, waren hier, um gezielt mit mir über Krankheit und Tod zu sprechen. Und vor ein paar Tagen, zu meinem Geburtstag, hatte ich eine Gruppe von Freunden hier um mein Bett versammelt. Die kamen alle, um mich Fernsehwürstchen zu ehren. Da erschrickt man ja erst mal zu Tode und denkt: Das kann doch nicht wahr sein. Und dann ist es doch wahr.
SPIEGEL: Und wenn es da oben, auf Wolke 7, doch noch eine Art Intendanten der Ewigkeit gäbe, der Sie fragte: Was hast du denn aus deinem Leben gemacht?
Friedrichs: Dann würde ich sagen: Was immer es war, ich hab's so gut wie möglich gemacht. Ich habe mir Mühe gegeben. Ich kann ja nicht meinen Beruf erklären. Verstehen die ja gar nicht. In meinem Beruf ordentlich gearbeitet zu haben, das war's ja wohl. Mehr war eigentlich auch gar nicht.
SPIEGEL: Ihr Beruf war das Wichtigste?
Friedrichs: Wenigstens solange du nicht verheiratet bist und so rumjuckelst.
SPIEGEL: Und was, wenn Sie alles noch mal machen könnten, würden Sie anders machen?
Friedrichs: Mann! Das klingt so furchtbar selbstgerecht, wenn man sagt: nix!
SPIEGEL: Selbstgerecht? Eher beneidenswert.
Friedrichs: Ach wissen Sie, ich habe einfach unheimlich viel Glück entwickelt. Ich bin in kriegerische Zeiten hineingeboren und habe sie locker überstanden. Und dann hab' ich 50 kriegsfreie Jahre erlebt, das ist schon mal was. Nie habe ich mich um etwas bemüht, mir ist immer alles angetragen worden. Das ist mir halt so zugestoßen. Was würde ich wirklich anders machen? Ich würde Vorgesetzten und Leuten wie Edmund Gruber und Henning Röhl von Anfang an sagen, was ich von ihnen halte. Damit die Verhältnisse klar sind.
SPIEGEL: Und sicher würden Sie nicht noch einmal versuchen, die Torwand im ZDF-Sportstudio abzuschaffen.
Friedrichs: Ich würde wahrscheinlich überhaupt darauf verzichten, eine Sportredaktion zu leiten, obwohl das auch Spaß gemacht hat und das nette Jungs sind. Ich hab' ja immer noch einen guten Draht zu denen. Die rufen mich heute noch an. Als ich die Sportredaktion übernahm, hatten die schwarze Anzüge und schwarze Krawatten an, zu meiner Amtseinführung. Das war kein gutes Zeichen.
SPIEGEL: Und als Sie weggingen?
Friedrichs: Da haben sie mir ein rauschendes Fest gegeben. Also muss irgendwas passiert sein in der Zeit dazwischen.
SPIEGEL: Und jetzt? Was sollte jetzt noch passieren?
Friedrichs: Das einzige, was ich mir noch gewünscht hätte, ist ein Golf-Handicap von 36.
SPIEGEL: Was haben Sie jetzt?
Friedrichs: Platzreife.
SPIEGEL: Hajo Friedrichs, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Das Gespräch führten Jürgen Leinemann und Cordt Schnibben.
Es erschien am 27. März 1995 im Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL.
Hanns Joachim Friedrichs starb in der darauffolgenden Nacht gegen ein Uhr.
Abdruck mit freundlicher Genehmigung des SPIEGEL.