Keynote Speech von Dr. Philipp Blom

Rede von Philipp Blom anläßlich der Verleihung des Hanns-Joachim-Friedrichs-Preises für Fernsehjournalismus am 12. November 2018 in den Studios des NDR in Hamburg.

 

"Guten Abend. Schön, dass ich da sein darf bei dieser Preisverleihung. Auch schön und besonders schön, weil ich selbst in Hamburg geboren bin und das für mich immer ein Nach-Hause-Kommen ist.

Ich bin Historiker, deswegen, vergeben Sie mir, wenn ich nicht im Heute bleibe, sondern Sie ein bisschen mit zurück nehme. Erst einmal nur zwei Wochen. Vor zwei Wochen war ich im Schloss Amerongen, einem schönen Schloss aus dem 17. Jahrhundert in den Niederlanden und zufällig der erste Ort an dem Kaiser Wilhelm Asyl bekam, nachdem er den Ersten Weltkrieg verlor. Und dort machten wir eine Livesendung über das Ende des ersten Weltkriegs, auf die Stunde genau 100 Jahre nach dem Waffenstillstand. Und wir hörten den Last Post, der in Ieper gespielt wurde und es war ein besonderer Moment.

Über diesen Konflikt, der Europa so verändert und vielleicht, auf lange Zeit, ruiniert hat, hat ein anderer Historiker, Christopher Clark, ein Buch geschrieben, das er „Die Schlafwandler“ nannte. Ein Titel, der sich sehr einfach nachvollziehen lässt, weil es für uns heute unverständlich ist, wie Leute so nationalistisch, kurzsichtig und militaristisch in eine Katastrophe stürzen konnten. Und gleichzeitig liegt darin eine große Gefahr. Clark beschreibt, dass der Erste Weltkrieg nicht begann, weil es Böse gab und Gute gab und Militaristen und Leute, die dagegen waren. Sondern, weil aus einem Netz von Misskommunikation und Selbstüberschätzung und gegenseitigem Misstrauen immer ein Schritt weiter genommen wurde, bis es kein Zurück mehr gab.

Es ist einfach für uns heute, diese moralische Überlegenheit zu fühlen diesen Militaristen gegenüber. Und gleichzeitig kann man sich kaum der Frage entziehen, was Menschen in 50 oder 100 Jahren wohl über 2018 sagen würden. Werden sie sagen, dass auch wir Schlafwandler waren, die in einen katastrophalen Klimawandel hineingestolpert sind, in eine digitale Revolution, die sie nicht überschauten, die aufgrund von globaler Ausbeutung lebten und Tiere in Fabriken hielten? Ist das die moralische Überlegenheit, die wir haben?

An Momenten wie dieses fühle ich mich als guter Deutscher zerrissen, „zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust“. Und diese zwei Seelen sind dieses Mal die des Historikers und die des Zeitgenossen. Für den Historiker ist dies eine großartige Zeit am Leben zu sein. Man sieht sozusagen in einem lebenden Experiment, wie eine Gesellschaftsform endet und eine neue sich noch nicht gefunden hat. Gleichzeitig ist da aber auch der Zeitgenosse, der in dieser Zeit Leben muss. Und der hat es wesentlich schwierigermit dieser Zeit zurecht zu kommen.

Das ist seltsam, denn beide dieser Seelen haben denselben Befund: wir sind am Ende einer Ordnung, am Ende der Nachkriegszeit, am Ende vielleicht auch einer politischen Ordnung, die für diese Nachkriegszeit geschaffen wurde. Und wir wissen noch nicht was kommt. Und unsere Gesellschaften haben noch nicht gelernt, damit umzugehen und ja, auch unser Journalismus hat noch nicht gelernt damit umzugehen.

Und dann fragt der Zeitgenosse den Historiker die Frage, die dann immer kommt: Kann man aus der Geschichte lernen? Sind wir wieder in der Weimarer Republik, sind wir in 1928 oder vielleicht schon in 1929? Und dann sagt der Historiker etwas herablassend: Geschichte wiederholt sich nicht.

Vor einigen Monaten saß ich in einer Wiener U-Bahn und mir gegenüber saß ein junger Mann. Es war morgens. Er war augenscheinlich schon etwas angetrunken und hatte Gesprächsbedarf und fragte mich, was ich denn in meinem Leben tue. Und ich dachte mir, ich mache es mir einfach und ich hab gesagt: „Ich bin Journalist.“ Und er schaute mich an und sagte: „Journalist? Und ich hätte Sie beinah gemocht.“ Und dann war er still.

Hanns Joachim Friedrichs sagte, es sei die Mission des Journalismus zu informieren, zu erhellen und aufzuklären. Und dabei möchte ich ihn beim Wort nehmen. Aufklärung ist kein philosophisches Lehrgebäude, es ist eher eine Art Haltung, die man hat zur Welt. Eine Haltung, die Gegenfaktisch ist, weil sie davon ausgeht, dass alle Menschen gleiche Rechte haben, was in der Welt augenscheinlich nicht so ist. Aber gleichzeitig, ohne diese notwendige Fiktion, gäbe es weder unsere Gesellschaften, noch unsere Demokratien. Demokratien können sehr schnell verschwinden. Sie sind Kreaturen der Nachkriegszeit, so wie wir sie kennen. Sie können auch sehr schnell wieder weg sein, nicht durch Fackelzüge und uniformierte Horden, sondern durch das Aushöhlen von Institutionen, die Kontrolle über die Medien bis nur noch die Kulissen der Demokratie stehen, aber zwischen diesen Kulissen längst ein anderes Stück gespielt wird.

Sind wir Schlafwandler? Nicht, wenn wir es schaffen hinter die Kulissen zu sehen. Nicht, wenn wir es schaffen immer wieder den Blick von hinter den Kulissen zu zeigen, auch wenn die Menschen ihn nicht sehen wollen. Für einen „Aufstand der Anständigen“ ist es noch nicht zu spät.

Dankeschön."